36. Die Sage von den vier Brüdern.80

[46] Zu den ältesten Straßen Berlins gehört die Brüderstraße, welche wahrscheinlich ihren Namen von dem in der zweiten Hälfte des 13ten Jahrhunderts gestifteten Kloster der schwarzen Brüder erhielt, das an ihrem Eingange lag und dessen Kirche auf dem Schloßplatze zwischen der Brüder- und Breiten-Straße stand. Dasselbe soll aber von vier Brüdern gestiftet worden sein und zwar aus folgendem Grunde. Es sollen vor grauen Jahren in Cölln an der Spree vier Brüder gelebt haben, die wegen ihrer treuen Liebe zu einander in Jedermanns Munde waren. Sie wohnten in einem Hause, was einer that, thaten alle, ging einer aus, so begleiteten ihn die andern drei, ja sie ritten wie einst die vier Haimonskinder zusammen auf einem Pferde. Ueber diese brüderliche Eintracht ärgerte sich aber der Teufel, er beschloß Uneinigkeit zwischen ihnen zu säen und er bediente sich dazu wie fast immer eines Frauenzimmers. Als sie einst zusammen ausgegangen waren, ließ er ihnen ein wunderschönes Mädchen in den Weg kommen, die Brüder wurden plötzlich alle von einer heftigen Leidenschaft für dasselbe entflammt, und als es nahe am Thore auf einmal verschwand, da trennten sich zum ersten Male die Brüder, ohne daß einer dem andern ein Wort sagte, von einander und jeder schlug einen andern Weg ein, in der Hoffnung, das schöne Mädchen wieder zu finden und für sich zu gewinnen. Da dachte der Teufel, er habe schon gewonnenes Spiel, und schickte die schöne Dirne zum zweiten Male aus und zwar gleich in das Haus der vier Brüder, damit sie sich denselben als Magd anbieten sollte, um nun die Brüder, weil natürlich sie Jeder besitzen wollte, erst recht zu entzweien. Allein als sie das Zimmer derselben betrat, sah sie die vier Brüder mit einander beten, und erhielt von ihnen, nachdem sie ihnen ihre Dienste angeboten, die strenge Antwort, sie solle ihres Weges ziehen, sie würden bis an ihr Lebensende sich selbst bedienen, und damit kein irdischer Reiz jemals wieder zwischen sie treten könne, hätten sie gelobt, ein Kloster zu erbauen und selbst als die ersten Brüder in dasselbe zu treten. Wie gedacht, so geschehen; auf derselben Stelle, wo ihr Haus stand, erbauten sie das Kloster der sogenannten schwarzen Brüder, welches aber, als Churfürst Joachim II. 1536 jene aus Brandenburg verwies, in ein Domstift verwandelt ward, welches erst im Jahre 1747 bei Erbauung der jetzigen Domkirche am Lustgarten abgerissen ward. Vor langer Zeit sah man noch an einem Hause der Brüderstraße, aux quâtre Philémons genannt, ein Bild jener vier Brüder, alle auf Einem Pferde sitzend.

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Metrisch behandelt von Al. Cosmar a.a.O. Bd. II. S. 79 sq. cf. Bd. I. S. 129 sq. und Ziehnert Bd. II. S. 267.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 46-47.
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