95. Der Rattenkönig bei Krossen.146

[98] Die sogenannten Ratzenkönige in der Mark sind nicht einzelne oder größere Ratten, wie Einige behaupten wollen, sondern viele Ratzen, so mit[98] den Schwänzen so in einander verwickelt und gleichsam zusammengewachsen sind, daß sie nicht von einander kommen können, und einen solchen Klumpen von Ratzen pflegt man Ratzenkönig zu nennen. Dergleichen ist einer im Jahre 1694 am 8. Juni bei Krossen in der Bobermühle gefunden worden, da ertheiltem Bericht nach 15 große Ratten mit den Schwänzen dergestalt zusammengeflochten gewesen, wie ein Frauenzopf oder eine geflochtene Semmel, die auch nach dem Tode nicht von einander gerissen werden konnten. Etliche Schwänze sind auch ganz aus der runden Form gewachsen gewesen und haben gleichsam zerquetscht ausgesehen. Sie haben, nachdem sie entdeckt worden und aus ihrem Gehalte hervorgekrochen, auf dem Boden herumgehuckt und zwar entwischen wollen, sind aber mit einem Besen, womit man sie gleichwohl nicht von einander schlagen oder tödten können, so lange aufgehalten worden, bis jemand von den Hausgenossen heißsiedend Wasser gebracht und sie damit getödtet. Nachgehends sind sie an öffentlicher Straße an einer Eiche aufgehangen und von vielen hundert Leuten besehen worden, welche theils aus der Stadt theils vom Lande dahin gekommen, bis sie endlich in die Stadt geholt und daselbst gleichfalls wohl betrachtet, endlich aber hinters Schloß geworfen worden und daselbst verfault. Man liest auch in den Ephemerid. German. Dec. II. Ann. IX. S. 254, daß zu Jena in einem vornehmen Hause unter dem Anrichtetisch dergleichen 14 zusammengeflochten entdeckt worden. Ein anderer solcher Klumpen ist auch vor einiger Zeit zu Bernburg in dem Fürstenthum Anhalt in der Schloßmühle zum Vorschein gekommen, welcher aus 11 dermaßen verwickelten Thieren bestanden, und noch einer in der verwittweten D. Orloben Keller daselbst, davon Herr Beckmann noch sieben, da sonst ihrer neun gewesen, aufgetrocknet bei einander gesehen hat. Und von diesen ist's wahr, daß die Ratzen nicht allein aus dem Hause, wo ein solcher Klumpen sein Quartier hat, sondern auch aus den benachbarten Gegenden zusammenlaufen und ihnen Nahrung zutragen. Was es aber sonst für eine Beschaffenheit damit hat, solches steht noch zu untersuchen.

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S. Beckmann S. 829 etc. nach Wegner S. 28.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 98-99.
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