114. Die alte Mühle in Klein-Glienicke.165

[109] Vor langen grauen Jahren, als noch die Gegenden an der Havel von den Wenden bewohnt wurden und die Welt noch so weit zurück war, daß man nur mühsam Hafer- und Gerstenkörner zu einem groben Mehle zu zerstampfen oder auf unbeholfenen Handmühlen klein zu machen verstand, lebte auf dem Glienicker Werder ein Mann, der sich davon nährte, dergleichen Instrumente zu verfertigen, aber wenig verdiente, weil er sich stets vergeblich abmühte, dieselben zu verbessern oder gar eine neue practischere Art derselben zu erfinden. Dadurch ward er aber immer ärmer und seine Frau machte ihm die bittersten Vorwürfe, daß sie und ihre neun Kinder wegen seiner Ungeschicklichkeit Hungers stürben. Dies brachte ihn zur Verzweiflung, und als er einst bis tief in die Nacht an einem Rade schnitzte, da trat ein schwarzer Mann zu ihm und versprach ihm, sein Glück zu machen, wenn er ihm eine Seele opfern wolle. Der Mann aber erschrak sehr und schlug es ihm ab. Dies that er auch das nächste Mal, als der Geist wieder kam, allein als im dritten Monat der Böse ihn abermals anredete und er es abermals abschlug, da erwachte seine Frau aus ihrem sorgenvollen Schlummer – denn seit dem ersten Besuche desselben war es ihnen nicht gelungen, das Geringste fertig zu bringen – fragte, was der fremde Mann wolle und beredete ihren[109] Gatten, eine Seele wegzugeben, damit sie nicht alle verhungern müßten. Als nun derselbe ja sagte und der Fremde eins der neun Kinder verlangte, da schrie und heulte sie so, daß dem Geiste bange wurde, und als der Mond aufging, mußte er weg. Vorher aber fuhr er mit der Hand über den Kopf der Frau, da gingen ihr alle ihre schönen langen Haare aus, die nahm der Fremde mit und sprach: warte.

Die andere Nacht klopfte er abermals um Mitternacht an, rief den Mann leise heraus und führte ihn auf den Berg bei Glienicke, da wo jetzt die große Sandgrube ist; dort warf er drei Rabenfedern in die Luft und alsbald kam ein großer Sturm, der Griebnitzsee brauste auf, seine Wellen brachen durch zwischen ihnen und dem Babelsberge und stürzten in die Havel, und als die Wässer wieder ruhig geworden waren, floß ein heller Bach aus dem Griebnitzsee in den Fluß. An diesen Bach führte der Geist den armen Mann und lehrte ihn eine Mühle bauen, deren Rad das Wasser trieb; das war die erste Wassermühle weit und breit in diesen Landen, und dreimal vierzig Jahre hat auf drei Hahnenrufe weit keine andere gebaut werden können. Der Mann aber wurde bald gar reich und schaffte fleißig in der Mühle mit seinen neun Söhnen, die seine Mühlknappen machten. Da kam die Pest ins Land, die raffte alle neun Söhne hinweg, nur er blieb am Leben mit seiner Frau; allein er grämte sich sehr, weil er allein nicht mehr so viel fertig bringen konnte, und so starb auch er, und seine Frau begrub ihn zu den neun Söhnen, wo jetzt die große Linde vor dem Försterhause steht. In die Mühle aber setzte der Grundherr einen andern Müller, der die alte Müllerin bald aus dem Hause vertrieb. Niemand wußte, wo sie sich aufhielt, allein in jeder Nacht erblickte man sie an den Gräbern und noch heute soll sich eine graue Alte um Mitternacht unter den hohen Linden bei der Mühle sehen lassen.

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Nach Reinhard S. 16.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 109-110.
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