161. Die Glocke in Großmöringen bei Stendal.219

[147] Auf der wüsten Feldmark Kobbelake oder Kobla sind noch die Grundmauern von der Kirche des ehemaligen Dorfes zu sehen. An ihnen wühlte eine Sau ein Loch und warf darin ihre Jungen. Der Hirt untersuchte das Loch genauer und entdeckte, daß es das Innere eines großen Kessels sei, worüber er sich ungemein freute. Er machte sich sogleich an das Ausgraben desselben und fand statt des Kessels eine sehr schöne Glocke, auf deren Besitz sogleich die Domgemeinde in Stendal Anspruch machte und zu ihrer Abholung einen besonderen Wagen bauen und mit sechszehn Pferden bespannen ließ. Aber aller Mühe und Anstrengungen ungeachtet konnte das Stendalsche Gespann sie nicht von der Stelle rücken. Da traten die Bauern in Großmöringen zusammen, spannten nur acht Pferde vor die Glocke und jagten mit ihr nach ihrem Dorfe zu,220 wo sie auch aufgehängt ward. Neidisch darüber behaupteten die Stendaler, der Ton dieser Glocke sei so stark, daß sie davon getäuscht würden und glaubten, es läute in der Nikolaikirche. Obwohl nun dies, da beide Orte zwei Stunden von einander liegen, nicht möglich sein konnte, so mußten dennoch die Großmöringer in ihrem Thurme die nach Stendal hinweisenden Schalllöcher fast ganz zumauern lassen. Später ist aber im Jahre 1649 von ihnen diese Glocke für 200 Thaler nach Magdeburg verkauft worden.

219

Nach Ziehnert, Bd. III. S. 52, und Temme S. 13.

220

Nach einer andern Sage hätte dies nur ein Bauer mit einem einzigen Pferde zu Stande gebracht.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 147-148.
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