284. Das Loos um das Leben.349

[233] Eine sonderbare Historie hat sich Anno 1261 mit einem vornehmen Magdeburger zugetragen. Es hatten die alten heidnischen Preußen diesen Gebrauch, daß sie die Kriegsgefangenen, sonderlich wenn es Christen oder vornehme Personen waren, ihren Götzen opferten. Sie legten dem Gefangenen seine oder auch wohl andere Waffen an, setzten ihn auf ein Roß und banden dasselbe fest an vier Pfähle. Rings um ihn warfen sie aber so viel Holz, daß man weder Roß noch Mann davor sehen konnte. Hierauf zündeten sie das Holz an, so daß der Mann mit dem Rosse jämmerlich verbrennen mußte. Solches jämmerliche Sterben betraf aber im Jahre 1261 einen Kreuzherrn, Hirschhals genannt, der von Magdeburg bürtig war. Denn als die damaligen Preußen unter ihrem Feldherrn Hercus Monte (welcher, da er sich kurz vorher in Deutschland aufgehalten und getauft worden war, den Namen Heinrich angenommen hatte, hernach wieder vom christlichen Glauben abgefallen war und gegen die Kreuzherren Krieg geführt hatte) eine Schlacht gewonnen, auch verschiedene Kreuzherren gefangen bekommen, haben sie die armen Gefangenen gezwungen, das Loos zu werfen, wer unter ihnen den Götzen geopfert werden sollte. Da ist das Loos auf den Magdeburger Hirschhals gefallen, der sich an den Feldherrn Hercus Monte gewandt und ihm die vielfältigen Wohlthaten, so er von Magdeburg genossen,[233] vorgehalten hat, ihn bittend, er möchte ihn von diesem schmählichen Tode helfen. Hercus fand sich auch hierzu willig, ließ das Loos noch einmal unter ihnen werfen, allein das hat den ehrlichen Magdeburger abermals getroffen, und da hat Hercus, um ihn zu erhalten, noch ein drittes Mal loosen lassen, wo denn Hirschhals abermals getroffen worden ist. Solches betrachtend, hat Hirschhals sich darein ergeben, also zu sterben, und ist auf gemeldete Weise also auf sein Pferd gebunden worden und durch das Feuer als ein Opfer ums Leben gekommen. Nach einer andern Sage hätte jener Hirschhals aber zwei Söhne gehabt, die jener Hercus Monte darum freigelassen hätte, weil er zu der Zeit, wo er Christ geworden war, in ihrem Hause zu Magdeburg auf dem Breitenwege bei ihnen gut aufgenommen worden sei und die Liebe ihrer Schwester erlangt hätte. Nun klagten ihn die Heiden deshalb als Verräther an, führten ihn nach Zörbig und wollten ihm dort dieselbe Strafe wie dem Ritter Hirschhals auflegen, nämlich den Feuertod. Allein die Magdeburger kamen ihm zu Hilfe, befreiten ihn und führten ihn mit sich fort. Zwar ward er wieder als Christ angenommen, allein als Buße durfte er ein ganzes Jahr das schöne Mädchen wohl sehen und besuchen, aber kein Wort mit ihr sprechen. Er ging täglich vom Prälatenwege, wo er wohnte, in ihr Haus am Breitenwege, und weil ihn dieser Weg, wie er sagte, ins Himmelreich führte, erhielt diese enge Straße den Namen: der Weg zum Himmelreich, den sie auch behalten hat.

349

Nach Petrus de Duisburg, Chron. Pruss. P. III. c. 86, und Vulpius a.a.O. S. 326 etc. Ganz anders bei Relßieg Bd. I. S. 349 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 233-234.
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