328. Die Ahnfrau auf den Ruinen der alten Burg zu Randau.397

[283] Ohngefähr eine Meile weit von der Stadt Magdeburg auf einer Elbinsel liegt das freundliche Rittergut Randau; dasselbe ward im 30jährigen[283] Kriege von den Kaiserlichen zerstört, später aber wieder aufgebaut. Früher ist aber jenes Dorf ein großer Flecken mit einem Ritterschlosse gewesen, welches im Jahre 1297 von den Magdeburgern von Grund aus zerstört ward. Gleichwohl sind noch heute einige Trümmer der alten Burg übrig, die aber, wie Jeder dort weiß, auf einer ganz andern Stelle liegen als der jetzige Rittersitz. Auf diesen soll sich noch jetzt um die Mitternachtstunde an gewissen Tagen im Jahre eine weiße Frauengestalt sehen lassen. Das soll der Geist der Ahnfrau von Randau sein, nur weiß man nicht, welchem Geschlecht dieselbe angehört hat, denn von einer Familie von Randau weiß Niemand etwas, und die Familie von Alvensleben, welche am längsten im Besitz des Rittergutes gewesen ist, kann auch nicht gemeint sein, denn es ist immer nur von der alten im oben genannten Jahre zerstörten Burg die Rede, und die Alvensleben haben erst später Besitz von dem Gute genommen. Die Volkssage erzählt nun aber, im Jahre 1297 hätte der damalige Magdeburger Schultheiß, Namens Thiele Weske, mit einem großen Heerhaufen von Bürgern und Söldnern vor der Burg Randau gelegen, wo der Hauptsitz des damals mit der Stadt in Fehde liegenden Landadels der Umgegend gewesen. Der Schultheiß habe aber mit einer in der Burg sich aufhaltenden Edelfrau, einer Gräfin von Barby, ein Liebesverhältniß gehabt und dieselbe habe eines Nachts versprochen, ihn vermittelst einer Strickleiter in die Burg einzulassen; nun habe Jener aber gleichzeitig auf diesem Wege seine Mitbürger dort hineinzubringen gedacht, es seien diese aber, als er bereits in's Schloß eingestiegen war, von den wachsamen Feinden überfallen und von ihm abgeschnitten worden. Im Zimmer seiner Geliebten angekommen, würde er natürlich auch mit ergriffen worden sein, hätte ihn nicht eine alte weißgekleidete Matrone, die er nicht kannte, durch eine Niemandem sichtbare Thüre in ein kleines Gemach gerettet. Von da aus sei er des andern Tages plötzlich wieder unbemerkt in das Gemach der Gräfin getreten und habe derselben, die noch gar nichts von seiner Anwesenheit wußte, mitgetheilt, wer ihn in jenes Seitengemach geführt habe. Da habe Letztere gerufen: »Das ist die Ahnfrau gewesen«, fügte aber hinzu, selbige erscheine nur denen, welchen ein großes Unglück bevorstehe. Durch Geräusch von näherkommenden Personen ward der Schultheiß veranlaßt, sich wieder in sein Versteck zurückzuziehen, wo ihm die Matrone zum andern Male erschien und ihm versprach, er werde als Sieger in die Burg einziehen, wenn er sich fern von Frauenliebe halte; so er dies aber nicht thue, werde er mit seiner Geliebten unter den Trümmern der eroberten Burg untergehen. Er versprach zwar ihr folgen zu wollen, allein da er in den folgenden Tagen immer wieder mit der Gräfin zusammentraf, so vergaß er bald sein gegebenes Versprechen und verabredete mit Letzterer, sie wollten zusammen in der folgenden Nacht vermittelst einer Strickleiter aus der Burg zu entkommen suchen. Dies gelang ihnen auch, er entkam glücklich zu den Seinigen, allein er beschloß auch, sofort auf demselben Wege mit diesen zurückzukehren und sich in den Besitz des Schlosses zu setzen. Dies gelang ihm auch, allein in der Burg selbst fand ein heftiger Kampf statt, da die Vertheidiger von allen Seiten auf die Magdeburger, die keine Ortskenntniß besaßen, einstürmten. Schon wichen diese, da kam ihnen auf einmal von einer Seite her Hilfe, wo sie es am Wenigsten erwarteten. Die Ahnfrau stand nämlich unter den Streitenden, schritt vor dem Schultheiß und[284] seinen Leuten her und führte sie unverletzt durch die dichten Schaaren der Randauer. Auf dem Schloßhofe angelangt, öffnete sie mit eigener Hand die starken Thore und über die herabrasselnden Zugbrücken stürmten jetzt die Magdeburger herein. Es fand noch ein heftiger, aber kurzer Kampf statt, unter den Gefallenen aber fand man die Leichen des Schultheißen und seiner Geliebten, der Gräfin. Uebrigens ward das Schloß selbst bei dieser Gelegenheit durch Feuer mit zerstört.

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Nach Relßieg Bd. I. S. 386 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 283-285.
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