366. Von der heil. Jungfrau Theodica zu Merseburg.450

[325] Im Kloster St. Petri zu Merseburg ist in der Mitte der Kirchhalle unter einem breiten Grabe beigesetzt die heil. Jungfrau Theodica, welche[325] Einige für eine Schwestertocher Kaiser Heinrich IV. und Tochter des aus Ungarn vertriebenen Königs Salomon (1073), Andere für ein Kind Königs Rudolph, Herzogs von Schwaben, der in der Schlacht bei Hohenmölsen die Hand verlor und im Dom zu Merseburg begraben liegt, halten. Dieselbe ist zur Zeit des Bischofs Wernher von Merseburg († 1103) aus der Fremde hier angelangt und hat sich bei armen Leuten in der Altenburg zu Merseburg zur Herberge begeben, ist auch vom gemeinen Volke Jungfer Eudica genannt worden. Darnach sie denn durch Bitten erlangt hat, daß ihr vergönnet worden, am Kloster St. Petri hinter der Kirche gegen Mitternacht in einem Winkel auf dem alten Kirchhofe eine kleine Hütte von Steinen, Erde und Rasen zu bauen, nach deren Vollendung sie darin ein geistlich, strenges, züchtiges, gottesfürchtiges Leben geführt, den Gottesdienst in der Dom- und Klosterkirche sehr fleißig besucht, und so viel gefastet, daß sie ganz schwach und mager geworden; um den bloßen Leib hat sie einen eisernen Gürtel, auch an den Armen und Beinen auf der bloßen Haut eiserne Ringe getragen, welche man nach ihrem Tode, weil solche zum Gedächtniß im Kloster als Heiligthum aufgehoben wurden, durch einen Schmied hat aufbrechen lassen. Es sind aber diese Dinge auch nachher, wie schon Alles lutherisch war, doch noch vorhanden gewesen. Warum sie gerade hierher gekommen, darüber erzählt man, sie habe ihr Leben bei dem Grabe ihres Vaters zubringen wollen und deshalb sei sie auch als eine Laienschwester des Klosters St. Petri auf Befehl des Bischofs Wernher durch seine Mönche mit Essen, Trinken und der nothdürftigen Kleidung versorgt worden.

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Nach Vulpius S. 24.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 325-326.
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