389. Der Wolfram zu Erfurt.478

[338] Im Dome zu Erfurt steht mitten im Chore ein Mann in Knabengröße von gegossenem Messing. Er stellt einen Priester vor, der seine Arme ausbreitet. In jeder Hand trägt er einen Leuchter und eine Spitze aus seinem Stecken dient ebenfalls, ein Licht darauf zu stecken. Man nennt ihn gewöhnlich den Wolfram, denn in seinem Gürtel ist der Länge nach folgende Inschrift eingegraben: »Wolframus Hilderich. ora pro nobis sanctae Dei genitrix, ut Dignus efficiatur gratiae Dei« (Wolfram Hilderich. Bitte für uns, heilige Mutter Gottes, auf daß er der Gnade Gottes würdig werde). Aus dieser Inschrift läßt sich muthmaßen, daß dieser Kandelaber von irgend Jemandem hierher verehrt wurde, Vergebung seiner Sünden zu erlangen, wegen welcher er vermuthlich in Bann gethan worden war. Wahrscheinlich soll dies die Stellung des Mannes mit den Lichtern in der Hand anzeigen, denn es war gewöhnlich, daß Büßende im langen Kittel mit einer Kerze in der Hand vor die Kirchthüren traten und die eingehenden Christen bitten mußten, für sie zu beten. Das Volk erzählt sich auch hierüber folgende Sage.

Ein junger Patricier, Namens Wolfram, beging ein großes Verbrechen, das gegen die Kirchenzucht verstieß und sogar nach Rom berichtet ward, wo der Papst folgendes Urtheil über den Sündigen sprach: Es solle Wolfram ein ganzes Jahr lang täglich in jeder Hand einen Leuchter mit brennender Kerze haltend dem Hochaltar gegenüber treten, so lange die Messe daure. Zwar unterzog sich der Patricier dieser harten Buße, allein die Schmach einer täglichen Kirchenstrafe und die Last der Leuchter drückten ihn zu Boden, er wurde so schwach, daß er sich nicht mehr aufrecht erhalten konnte. So wurde er denn seiner Buße entlassen, er mußte aber dies metallene Bild anfertigen lassen und hat dann seine Tage als Mönch in einem strengen Büßerorden beschlossen.

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Nach Bechstein, Thüring. Sagenbuch. Wien und Leipzig 1858. Bd. II. S. 314.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 338.
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