392. Doctor Faust zu Erfurt.

[339] Der berühmte Doctor Faust hat sich dereinst auch zu Erfurt aufgehalten. Er wohnte in der Michelsgasse neben dem großen Collegium und las als ein gelehrter Professor mit Erlaubniß des academischen Senats im großen Hörsaale des Collegiumsgebäudes über griechische Dichter, namentlich erklärte er seinen Zuhörern, den Studenten, den Homer und beschrieb ihnen die Heldengestalten der Ilias und Odyssee so lebendig, daß dieselben den Wunsch aussprachen, dieselben mit eigenen Augen zu schauen. Dies that er auch, er zauberte sie aus der Unterwelt herauf, als sie aber den gewaltigen Riesen Polyphem erblickten, da wandelte Alle Grausen an und sie wollten nichts mehr von ihm hören noch sehen.

Durch das engste Gäßchen Erfurts fuhr er mit einem zweispännigen Fuder Heu, wodurch dieses Gäßchen für alle Zeiten den Namen: »Doctor Faust's Gäßchen« führt. Einst kam er auf einem Pferde geritten, das fort und fort fraß und nicht zu sättigen war; ein anderes Mal zapfte er allerhand Weine aus einem hölzernen Tische oder gaukelte den trunkenen Zechgesellen Trauben vor, die sie abschneiden wollten, als er aber das Blendwerk schwinden ließ, da hatte einer des andern Nase statt der Weintraube in den Fingern. Ein Haus in der Schössergasse soll oben im Dache immer noch eine Oeffnung haben, die nie mit Ziegeln zugelegt werden kann, weil Faust durch dasselbe seine Mantelfahrten zu nehmen pflegte. Einen herrlichen Wintergarten soll er nebst kostbarer Bewirthung zahlreicher vornehmer Gäste hergerichtet haben und so zu großem Rufe gelangt sein. Bald sprach in ganz Erfurt Niemand von etwas Anderem als vom Doctor Faust, und es entstand die Furcht, es möchten allzuviele Menschen sich durch ihn zu Teufelskünsten verleiten lassen. Es ward also ein gelehrter Mönch, Dr. Klinge genannt,[339] zu ihm geschickt, der sollte ihn bekehren. Faust aber wollte nicht bekehrt sein und auf das Anerbieten des Mönchs, ihn durch Messelesen und Gebet vom Teufel loszureißen, hat Doctor Faust erwidert: »Nein, mein guter Doctor Klinge, es würde mir sehr unrühmlich sein, meinen mit meinem Blute geschriebenen Vertrag zu brechen, das wäre nicht redlich. Der Teufel hat mir ehrlich gehalten, was er mir zugesagt, so will ich ihm auch mein Wort halten.« »Ei, so fahre hin zum Teufel, Du verfluchter Teufelsbraten und Teufelsbündner!« schrie da zornig der Mönch, »fahre hin in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!« und der Mönch rannte fort zum Rector Magnificus und zeigte ihm an, wie Dr. Faustus ein ganz unverbesserlicher Sünder sei. Da wurde er aus der Stadt Erfurt gewiesen und seitdem soll nie daselbst wieder ein Hexenmeister aufgekommen sein.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 339-340.
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