393. Der Walperzug zu Erfurt.479

[340] Der Walper- oder Walpurgiszug zu Erfurt war ehedem ein großes Fest, welches drei Tage dauerte und hauptsächlich in einem feierlichen Zuge mit Fahne nach der sogenannten Wegweide, einem Gehölze im fürstlich Mainzschen Gebiete, bestand. Die Bürger hatten das Recht, am Tage Walpurgis daselbst vier Eichen zu fällen, ihren vier Rathsmeistern zu Ehren. Die Ursache des Zuges war folgende.

Es lag auf der Kuhweide ein festes Schloß, wo sich Räuber aufhielten. Nun war ein Fleischer aus der Stadt verwiesen, der kam von ohngefähr im Felde zu ihnen, den nahmen sie als Koch mit sich in das Schloß, wohin sie durch verborgene Wege unter der Erde kamen. Da nun nach einiger Zeit die Räuber ihrer Gewohnheit nach auf weißen Pferden ausgeritten waren und den Schlüssel einer alten Frau anvertraut hatten, so bat er dieselbe, daß sie ihn nur auf eine kleine Zeit wolle spazieren gehen lassen. Nachdem er die Erlaubniß erhielt, lief er in Eile der Stadt zu, verlangte, daß vom Rathe Jemand heraus zu ihm geschickt werden möchte, dem wolle er eine große Heimlichkeit offenbaren, und als Einige zu ihm kamen, so versprach er, wenn sie ihn als einen ehrlichen Bürger wieder aufnehmen wollten, so wolle er ihnen dann das Schloß ohne Mühe in die Hände liefern. Als sie ihm dies versprachen, so sagte er ferner, wie sie zu einer gewissen Stunde, die er ihnen schon offenbaren wolle, wenn die Räuber auf Beute ausgeritten wären, auf weißen Pferden vor das Schloß geritten kommen möchten, damit die andern dächten, ihre Kameraden kämen wieder zurück, dann wolle er sich des Schlüssels bemächtigen und ihnen das Thor aufmachen. Dieses verlief Alles genau so, wie ausgemacht war, die Räuber wurden gefangen genommen und als am andern Tage die Weggerittenen auch wieder kamen, welche von dem, was geschehen war, nichts wußten, also ganz unbesorgt zum Schlosse hinaufritten, so wurden auch diese alsbald gefangen und ihnen ihr Recht angethan, das Schloß aber gänzlich zerstört.

Nach einer andern Erzählung wäre jenes Schloß die Burg Dienstberg gewesen und hätten sie die Erfurter am 15. Mai des Jahres 1289, angeführt vom Kaiser Rudolph selbst, zerstört; es habe aber die Edelfrau darin[340] ihre zwei jungen Söhne mit allem ihren Geschmeide behangen, sei herausgekommen und habe dem Kaiser einen Fußfall gethan und um ihrer Kinder Leben gebeten. Dies sei ihr auch gewährt und sie auf Pferden nach Erfurt gebracht worden. Bei dieser Eroberung habe man ein Lied gemacht: »Eichen ohne Gerten (eichene Prügel haben sie gehauen und Gerten davon gemacht, mit welchen sie die Räuber todtschlugen), wir kamen vor ein Thälelein, Thälelein, rothe Rosen Blätterlein (sie kamen vor ein Thal, da stunden rothe Röschen), steht still, steht still auf dieser Stadt, wollen wir aber singen, gebt was ihr habt, Prügel her.« Das sangen die Jungen zu Erfurt noch im vorigen Jahrhundert am St. Johannisabend. Darum pflegte man bei dem zum Gedächtniß an die Begebenheit gestifteten Walperzuge zwei Knaben mit güldenen Ketten und Geschmeiden aufzuputzen und sie zu Pferde mit in die Stadt einzuführen. Weil aber die Erfurter Bürger vor jener Fehde auf die Wegeweide in jenes Schloß Dienstberg zu Biere zu gehen pflegten, wie sie später dann nach Taberstadt gingen, wurden bei jenem Zuge stets zwei Krüge voll Bier mit in die Wegeweide getragen.

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Nach Falkenstein S. 184 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 340-341.
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