397. Ein Student läuft vom Galgen davon.483

[343] Im Jahre 1514 ist zu Erfurt ein Student gefangen eingebracht worden, der zu Griffstedt einen Kelch aus der Kirche gestohlen hatte: es ist ihm das Urtheil gesprochen worden, er solle geradbrecht werden. Wie er nun hinaus auf den Rabenstein gebracht ward und der Scharfrichter keinen Knecht bei sich hatte, er ihm aber den anhabenden blauen Rock ausziehen wollte und daher die Hände desselben auflösen mußte, bediente sich der arme Sünder dieser Gelegenheit und wollte sich vom Scharfrichter losmachen. Indem sie nun mit einander rangen, fielen sie beide vom Rabenstein herab. Da nun der Scharfrichter dem armen Schelm die Hände binden wollte, aber keinen Strick hatte, und Niemand ihm einen zulangen wollte, nahm er seinen Gürtel, daran ein Beutel hing, in welchem er die drei Gülden hatte, die er an dem armen Menschen verdienen wollte, und band ihn damit an die Leiter, stieg hierauf auf den Rabenstein, um mehr Stricke zu holen. Da erhob sich ein großes Getöse unter dem Volk und die anwesenden Studenten nahmen ihn mit der Leiter, machten ihn los, führten ihn davon und nahmen also das Geld sammt dem Beutel mit, und der Student entging auf solche Weise seiner Strafe.

483

Nach Falkenstein S. 508.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 343.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band