412. Die Sage von dem Schuster und dem Musikanten Antonius zu Mühlberg.498

[351] Am Sonntage Rogate des Jahres 1543 erzählte Joachim Mörlin, Superintendent zu Arnstadt in Thüringen, in seiner Predigt folgende wunderliche Geschichte.

Es hat sich vor 12 Jahren in dieser Gegend begeben, daß ein gewisser Mann, Antonius geheißen, der sich mit Pfeifen auf Hochzeiten sein Brod verdiente, zu Mühlberg bei Erfurt zur Abendzeit, als der Hirte des Ortes Ochsen, Kühe und anderes Vieh in die Stadt getrieben, mit andern seiner Zechgesellen vor der Schenke gestanden hat. Als nun unter anderem Vieh ein Kalb vorüberging, welches seiner Gewohnheit nach seine Nothdurft verrichtete,[351] läuft einer von ihnen hinzu und hebt den Kalbsmist auf, thut ihn in ein Glas, so er in der andern Hand mit Wein vollgeschenkt hat, und wie er dabei eine gute Zote reißen will, hat er's im Glase umgeschwenkt und dabei geschrieen: »Hier gut Theriaks, gut Gemüser!« ganz wie die Theriakskrämer ihren Markt auszurufen pflegen. Nachmals, wie er es wohl unter einander gerührt, trinkt er gedachtem Antonius zu, welcher, wiewohl er es erstlich nicht annehmen wollte, doch endlich Bescheid gethan und es ausgetrunken hat. Was geschieht? Der Teufel läßt ihn fast über ein Jahr gehen, thut ihm sogar sonderlich nichts, allein fängt nachmals an und redete ihm also in seinem Gewissen zu: »Siehe, gedenke was Du dem und dem gethan, heißt das für die Creatur Gottes gebührenden Dank sagen? Wenn Du den Schöpfer selbst hättest, weil Du mit seiner Creatur ohne Scham also spielen darfst, Du durftest aber solches dem Schöpfer selbst thun.« Mit solchen heimlichen herzfressenden Gedanken plagt der Teufel den Antonius ein ganzes Jahr. Nachmals begiebt es sich, daß einer von seinen Freunden oder sonst guten Gesellen sich an dem Orte mit einer Jungfrau verlobt, welche nicht eben reich, aber dafür fromm und tugendsam war. Dieser Verlobung wohnte dieser Antonius bei. Wie aber nachmals jener Geselle sein Herz und Liebe auf eine Andere, so etwas reicher ist, wirft, will er der ersten das Eheversprechen, was er ihr gegeben, nicht halten. Solche Sache kommt nun vor den Richter, es werden Zeugen vorgeladen, vornehmlich auch dieser Antonius, welcher seinem Kameraden zu Gefallen, vielleicht auch durch große Versprechungen dazu beredet, die Wahrheit verschweigt. Dies ist die andere Sünde wider das achte Gebot Gottes. Hier tritt ihm nun Christus aus den Augen und Satanas fängt an sich mit Gewalt sehen zu lassen, macht sich öffentlich an ihn, wirft ihm seine begangene Sünde und Schande vor, damit er Gott den Schöpfer allerdings so dürftiglich in seiner Creatur geschändet. Es hätte aber vielleicht der liebe Gott mit ihm Geduld haben können, wo er seine Langmuth nicht so gräulich gemißbraucht. Er hatte aber über dies alles die Wahrheit verhalten, zugesehen, daß sein Gesell muthwillig Gottes Ordnung zertrennt und also, weil Gott die Wahrheit selber ist, Gott seinen Herrn hierin verläugnet, darum sollte er nun nicht anders gedenken, als er wäre dem Teufel zu eigen von Gottes Gericht übergeben, nun und immer und ewig zu sterben. Wie nun in solchen Aengsten der Antonius ist, mit feurigen Pfeilen des Teufes erschrecklich verwundet, durch Gottes und seines eigenen Gewissens Gericht überführt, dazu vom Teufel leibhaftig besessen, geht er umher, sucht Ruhe und findet sie nicht, und das über ein ganzes Jahr, ißt nicht, trinkt nicht, sondern geht als einer, der bereits in der Hölle sitzt, herum.

Er kommt aber einmal ohne alles Gefähr zum Pfarrherrn zu Mühlberg, Johann Backius († 1536), wie er bei der Mittagsmahlzeit ist. Da sein Capellan Justus Menius, nachmals Pfarrer zu Eisenach, bei ihm über Tisch sitzt und sie eben von dem verlorenen Sohne, Lucä c. XV., reden und schließen endlich auf diesem und andern Orten der Schrift, daß keine Sünde so groß und mächtig sei, wo nicht die Gnade und Barmherzigkeit Gottes viel mächtiger wäre. Wie wohl nun der Antonius noch besessen bleibt, so seufzt er doch über solche Worte und Beschluß, wollte aber, obwohl er gebeten war, nicht an den Tisch, sondern geht herum als ein Mensch, so halb[352] todt ist und ihm nichts fehlt, denn daß er die Augen zuthue. Der Pfarrer und Capellan bekräftigten ihre Rede aus Gottes Wort, bis er nach gethaner Beichte und Erzählung, darin er seine Sünde und des Teufels Fürhaben angezeigt, die Absolution und das hochwürdige Abendmahl begehrt.

Wie nun auf solche Wiederkunft des Herrn Christi der Teufel hört, daß Antonius solchen Trost aus Gottes Wort von den Kirchendienern vorgelegt und angeboten annimmt, treibt es der Satanas noch heftiger, und endlich, weil er ihn von solchem Glauben nicht bringen kann, gesteht er es ihm, daß die Seele errettet sei, der Leib aber sei ihm zum Verderben übergeben. Wie denn auch geschehen ist und er Antonius selbst bekannt hat. Darum hat er immer gesagt, daß, wenn die Stunde da sein werde, werde der Teufel seinen Leib wegführen, doch ohne Nachtheil und Gefahr seiner Seele, welche gewiß werde selig werden; mit ihm aber gleichzeitig würden auch noch andere Leute besessen werden.

Als es nun eine Zeitlang mit ihm so gewährt, er auch mit etlichen Männern verwahrt, die Fenster mit großen Hölzern verpflöckt und er auf einen Abend zu Mühlberg in seiner Stube auf der Bank gelegen, einen Rosenkuchen auf der Brust liegen habend, ist seine Hausfrau vor ihm gesessen, ein klein Kind in der Wiege daneben, auch ein Kandel mit Bier hat auf dem Ofen gestanden und ein brennendes Licht auf dem Tische. Als nun die Frau, des Trauerns voll, den Kopf in der Hand gehabt, hat er angefangen sie zu trösten und gesagt, sie solle sich nicht um ihn kümmern, denn es helfe doch nichts und wenn man ihn in einen stählernen Berg einschmieden wolle, so müsse er doch davon. Er hat sodann seinem Weibe die Kinder befohlen, mit der Bitte, sie wolle nach seinem Abschiede sich ja wohl vorsehen und einen Mann nehmen, der Gottes Wort lieber höre und mehr vor Augen hätte, denn er gethan. Bald hernach, da er solche und viele andere Worte mehr zu seinem Weibe geredet, hat sich ein grausamer Wind und Brausen vor der Stube erhoben und alsbald ist die Kandel vom Ofen, das Licht vom Tische und das Kind aus der Wiege gestürzt; alsogleich haben sie Alle geschrieen und erbärmlich gerufen: »Antoni, Antoni!« aber er ist nicht mehr dagewesen. Allein ein greulich Blöcken wie von einem Ochsen haben sie gehört, dem sie dann wie einem dicken Nebel die Gasse nachgefolgt sind, so lange es sich von ihnen nicht entfernt hat. Da haben sie gefunden, daß ihn der Satan durch den Ofen geführt, nachmals, da er ein Schuster seines Handwerks gewesen, so das Leder mit zurichtete, und vor dem Ofen ein Kessel, darin man gerbt, gestanden, welcher unten im Ofen ein klein Ofenloch gehabt, daß man kaum ein Scheit hat hineinbringen können, haben sie gesehen, daß er ihn durch denselben Ofen und Kessel geführt, also daß der Rosenkuchen klein zermalmt im Loche liegen geblieben ist. Und nachdem sie den andern Tag viel um den Fleck gesucht haben, sie ihn endlich bei der Mühle gefunden, da ihm das Maul fast zerrissen gewesen, alle Beine am Leibe zerknirscht, und so hat er mit dem Kopfe die Hälfte im Wasser, das Angesicht unter sich gekehrt, kreuzweise dagelegen. Es haben aber alle diejenigen Bürger, so um die Gasse, da er also gebrüllt, an die Fenster gelaufen, längere Zeit fast todtkrank gelegen, sind aber durch Gottes Gnade wieder aufgekommen.499

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Nach Joach. Mörlin, Evangelienpostille S. 437. Reichard Bd. II. S. 73 etc.

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Eine ähnliche Geschichte steht in Büsching's Wöch. Nachr. 1787. No. 48.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 351-353.
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