1. Der Ritterkeller auf dem Kiffhäuser.

[435] Einst richtete ein guter, aber armer Mann aus Tilleda eine Kindtaufe aus, und das seine achte. Er mußte dabei den Gevattern nach Sitte des Landes einen Schmauß geben. Bald war der Landwein, den er seinen Gästen vorzusetzen hatte, ausgetrunken und sie forderten mehr. »Geh«, sagte er im Scherze zu seiner ältesten Tochter, einem hübschen sechszehn Jahre alten Mädchen, »und hole uns noch bessern Wein aus dem Keller.« »Aus welchem Keller denn?« fragte das erstaunte Mädchen. »Ih«, antwortete der Vater, »aus dem großen Weinkeller der alten Ritter auf dem Kiffhäuser.« Das Mädchen geht in ihrer Einfalt, weil sie wirklich glaubte, ihr Vater spreche im Ernst, mit einem kleinen Eimer in der Hand den Berg hinan; in der Mitte desselben erblickt sie am verfallenen Eingange eines großen Kellers, den sie freilich nie zuvor gesehen, eine Schaffnerin in ganz ungewöhnlicher Tracht, mit einem großen Schlüsselbunde an der Seite. Sie verstummt vor Erstaunen, doch freundlich fragt sie die Alte: »Gewiß willst Du Wein holen aus dem Ritterkeller?« »Ja«, sagte das Mädchen, »aber Geld habe ich nicht.« »Komm mit mir«, sprach die Schaffnerin, »Du sollst umsonst Wein haben, und bessern Wein, als Dein Vater je gekostet hat.«

Sie gingen nun beide durch einen halbverschütteten Gang und das Mädchen mußte erzählen, wie es jetzt in Tilleda aussehe. »Einst«, sagte die Alte, »war auch ich jung und schmuck wie Du, als mich die Ritter des Nachts durch einen Gang unter der Erde aus dem Hause in Tilleda wegholten, das jetzt Deinem Vater gehört. Kurz vorher hatten sie am hellen Mittag die vier schönen Jungfern, die hier noch zuweilen auf prächtig geschirrten Pferden herumreiten und dann wieder verschwinden, mit Gewalt aus Kelbra entführt, da sie eben aus der Kirche kamen. Mich machten sie, als ich alt ward, zur Aufseherin des Weinkellers und das bin ich noch.« Jetzt standen sie vor der Kellerthür und die Schaffnerin schloß auf. Es war ein großer geräumiger Keller und auf beiden Seiten lagen die Stückfässer. Die Schaffnerin klopfte an die Fässer, die meisten waren halb oder ganz voll. Sie nimmt den kleinen Eimer, zapft ihn voll trefflichen Weines und sagt: »Da bringe das Deinem Vater. Und so oft ein Fest in Euerem Hause ist, kannst Du wiederkommen, aber keinem als Deinem Vater sage, woher Du den Wein hast. Auch dürft Ihr keinen Wein verkaufen, umsonst bekommt Ihr ihn, umsonst sollt Ihr ihn geben. Kommt einmal einer her, der Wein haben will, um damit zu wuchern, dessen letztes Brod ist gebacken.« Das Mädchen brachte ihrem Vater den Wein, der den Gästen trefflich schmeckte, ohne daß sie jedoch errathen konnten, woher er kam. So oft nachmals in dem Hause ein kleines Fest war, holte das Mädchen Wein vom[435] Kiffhäuser in dem kleinen Eimer. Aber lange dauerte die Freude nicht; zwar wunderten sich die Nachbarn, woher der arme Mann den herrlichen Wein bekam, der in dem ganzen Lande so gut nicht war, allein der Vater sagte es Keinem und die Tochter auch nicht. Gegenüber wohnte jedoch ein Schenkwirth, der mit gefälschtem Wein handelte. Dieser hatte den Ritterwein auch einmal gekostet und dachte: den Wein konntest du mit zehnfachem Wasser verdünnen und doch theuer verkaufen. Er schlich also dem Mädchen nach, als es zum vierten Male mit dem kleinen Eimer nach dem Kiffhäuser ging, versteckte sich unter dem Gebüsche, als sie stehen blieb, und sah sie nach einiger Zeit aus dem Gange, der zu dem Keller führte, mit dem gefüllten Eimer herauskommen. Den nächsten Abend ging er selbst den Berg hinauf und schob auf einer Karre die größte leere Tonne, die er hatte auffinden können, vor sich her. Diese dachte er mit dem trefflichen Ritterwein zu füllen, sie des Nachts den Berg herunter zu rollen und dann alle Tage wiederzukommen, so lange noch Wein im Keller wäre. Als er an den Ort kam, wo er den Tag vorher den Eingang zum Keller gesehen hatte, wurde mit einem Male Alles dunkel um ihn her. Der Wind fing an fürchterlich zu heulen und das Ungethüm warf ihn und seine Karre und seine leere Tonne von einer Felsenmauer zur andern. Er fiel immer tiefer und tiefer und kam endlich in eine Todtengruft. Da sieht er vor sich einen schwarzbehangenen Sarg hertragen und seine Frau und viele Nachbarinnen, die er an ihrer Kleidung und ihrem Wuchs deutlich erkannte, folgten der Bahre nach. Vor Schrecken fällt er in Ohnmacht. Nach einigen Stunden erwacht er wieder, sieht sich zu seinem Entsetzen noch in der schwachbeleuchteten Todtengruft und hört gerade über seinem Kopf die ihm wohlbekannte Thurmglocke in Tilleda zwölf schlagen. Nun wußte er, daß es Mitternacht war und daß er sich unter der Kirche und dem Begräbnißplatz seines Dorfes befand. Er war mehr todt als lebendig und wagte es kaum zu athmen. Siehe, da kommt ein Mönch und trägt ihn eine lange, lange Treppe hinan, schließt eine Thüre auf, drückt ihm schweigend etwas Geld in die Hand und legt ihn am Fuße des Berges nieder. Es war aber eine kalte eisige Nacht. Allmählig erholt er sich jedoch und kriecht ohne Tonne und Wein seinem Hause zu. Es schlug Eins, als er es erreichte. Er mußte sich sogleich ins Bett legen und nach drei Tagen war er todt; das Geld aber, das ihm der verzauberte Mönch gegeben hatte, reichte gerade zu seinem Begräbniß hin.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 435-436.
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