2. Die goldenen Flachsknoten.

[436] Vor vielen, vielen Jahren ging einst ein ganzer Schwarm Knaben aus Kelbra auf den Kiffhäuser, um da Nüsse zu pflücken. Sie gehen in die alte Burg, kommen auf eine Wendeltreppe, steigen hinauf und finden ein kleines Gemach mit schönen achteckigen rothen und blauen Fenstern. In der einen Ecke liegt eine Spindel mit Flachs, in der andern ein Haufen Flachsknoten. Von diesen Knoten nimmt jeder Knabe einen Hutkopf voll und so laufen sie lustig hinunter und streuen auf dem Wege die Flachsknoten aus. Als die Knaben nach Kelbra kamen, war es schon Abendbrodzeit. Der ärmste der Knaben findet seine Eltern gerade beim Tischgebet; er nimmt seinen Hut ab[436] und klingelnd fällt etwas Glänzendes auf die Erbe und bald noch ein Stück, nach und nach sieben andere. Die Mutter läuft hinzu und siehe, es waren goldene Flachsknoten, womit ein verzaubertes Hoffräulein oder gar die Kaiserin selbst dem armen Mann ein Geschenk gemacht hatte, der seinen Knaben nun ein Handwerk lernen lassen konnte. Die Nachbarinnen liefen hinzu, die wunderbaren Flachsknoten zu sehen. Den folgenden Tag ging ganz Kelbra auf den Kiffhäuser, Alle suchten, aber Keiner fand die blauen und rothen Fensterscheiben, Keiner die aufgehäuften goldenen Flachsknoten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 436-437.
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