11. Die goldenen Kegel und der Kaiser Otto.

[444] Ein anderer Schäfer verlor am Johannisabend seine Heerde, die er auf dem Kiffhäuser gehütet hatte. Er lief durch das Gebüsch und hohe Gras sie zu suchen und dabei streifte er, ohne es zu wissen, mit dem Fuße die Wunderblume ab und sie blieb an seiner Schuhschnalle hängen. Wer diese Blume, die nur in der Johannisnacht blüht, an sich trägt, der kann Geister sehen; und wie es nun im Thale elf schlug, war der Schäfer gerade dicht unter dem Gipfel des Berges und er sah, wie sich der Berg aufthat und der Kaiser Otto mit vielen Rittern herausstieg. Sie waren gar stattlich anzuschauen, und begannen auf dem Berge Kegel zu schieben, und als sie eine Weile geschoben hatten, schmaräkelten sie, d.h. sie schoben nicht wie gewöhnlich die Kugel nach den Kegeln hinaus, sondern sie warfen dieselbe in die Höhe, so daß sie beim Falle die Kegel umschlug. Der Schäfer blieb verwundert stehen und schaute zu. Da schlug es zwölf und sie stiegen in den Berg zurück und der Berg schloß sich wieder. Der Schäfer nahm zum Wahrzeichen den Kegelkönig und steckte ihn in seine Hirtentasche. Er ging dann weiter nach seinen Schafen, fand sie auch bald wieder und erzählte nun am Morgen den andern Hirten, was er in der Nacht gesehen hatte. Die aber lachten ihn aus; da holte er den Kegel aus der Tasche, und wie er ihn ansah, war er ganz von Gold.

Nachdem der Kaiser Otto wohl manche hundert Jahre in dem Berge gehaust hatte, ging er zur Ruhe ins Grab und an seine Stelle zog der Kaiser Friedrich in den Kiffhäuser, der noch dort wohnt. Nach Andern aber soll der Kaiser Otto aus dem Kiffhäuser in das Quedlinburger Schloß gezogen sein und noch jetzt in den tiefen Kellern desselben sitzen. Die Magd des Küsters in Quedlinburg wurde einst von einem Geiste hinabgeführt und sah den Kaiser, der ganz aus Gold war und sich nicht regte. Nach einer alten Wahrsagung soll das Quedlinburger Schloß einst abbrennen; dann wird man den Kaiser unter den Trümmern finden und das Schloß mit dem Golde, in das sich sein Leib verwandelt hat, neu und schöner aufbauen; sein Geist aber wird dann Ruhe finden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 444-445.
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