588. Das Grab unter den Linden bei Blankenburg.691

[538] Bei Blankenburg stehen zwei alte Linden, unter denen, wie die Sage berichtet, in der Mitternachtsstunde im Mondenscheine sich alle sieben Jahre die Schatten zweier Liebenden finden. Die Geschichte der beiden Schatten aber ist folgende. Vor einigen hundert Jahren wohnte am Unterharze ein angesehener Graf, der das Gelübde gethan hatte, wenn er von der schweren, Krankheit, an der er daniederlag, genesen würde, wolle er seine einzige Tochter dem Himmel weihen. Da er nun auch wirklich wieder gesund ward, so säumte er nicht, das unglückliche Mädchen in ein Kloster zu schicken, welches nördlich von Blankenburg lag, ohngefähr an der Stelle, die der jetzige Bleicheplatz einnimmt und wo der Wanderer noch jetzt die zwei Linden von ungewöhnlicher Größe gewahr werden kann, von denen hier die Rede ist. Das unglückliche Mädchen hatte aber, ehe sie ins Kloster trat, einen Geliebten gehabt, von dem sie nicht lassen konnte und dessen Bild jeden Augenblick vor ihrem geistigen Auge stand, so daß sie hinter den Mauern des heiligen Hauses keinen Augenblick Ruhe fand, sondern sich unendlich unglücklich und verlassen fühlte. Dies war auch der Aebtissin des Klosters nicht unbekannt, allein statt das Mädchen durch Trost und milde Theilnahme aufzurichten, beschloß sie, dasselbe zu verderben, denn sie war von früher her eine heimliche Feindin ihres Vaters, den sie selbst einst als Mädchen geliebt und der sie nicht beachtet hatte. Sie beschloß also ihr Gelegenheit zu geben, mit ihrem Liebhaber zusammenzukommen und sich sogar von ihm entführen[538] zu lassen, zur rechten Zeit aber dazwischen zu treten und sie als eine ungetreue Gottesbraut wieder einfangen und zur Strafe lebendig einmauern zu lassen. Wie gedacht, so geschehen; sie wußte dem Geliebten der Nonne die Nachricht zukommen zu lassen, daß er an einem bestimmten Tage des Nachts in dem Klostergarten sich einfinden solle, hier werde er seine Geliebte treffen und sie könnten sich dann über ihre Zukunft besprechen. Der Jüngling hegte auch kein Mißtrauen, er stieg zur bestimmten Stunde über die Mauer des Gartens und traf auch richtig seine Braut, die ohne etwas zu ahnen von der boshaften Aebtissin noch spät am Abend in den Garten geschickt worden war, um angeblich noch Obst daselbst zu holen. Als sie nun plötzlich ihren Geliebten zu ihren Füßen sah, vergaß sie, daß sie eine Himmelsbraut war, und duldete nach so langer Trennung seine Umarmungen und Küsse, endlich aber riß sie sich von ihm los und befahl ihm, augenblicklich sie zu verlassen, da sie jetzt Christi Braut sei. Jener aber bat, sie möge ihm wenigstens erlauben, sie wieder zu sehen und wenn es auch nur alle sieben Jahre eine Stunde lang sein könne. Das gestand sie ihm denn auch zu und so schwuren sie denn einander, nichts solle sie abhalten, alle sieben Jahre um dieselbe Stunde sich an diesem Orte wiederzutreffen. Während ihrer Unterredung war aber ein schweres Unwetter heraufgezogen, ohne daß sie es bemerkt hatten, und in demselben Augenblicke, wo sie mit einer letzten Umarmung auf sieben Jahre von einander Abschied nehmen wollten, fuhr ein Blitz durch die Luft und erschlug Beide zu gleicher Zeit. Fast unverletzt fand man sie am andern Tage unter den Linden, wo man ihnen ein Grab bereitet hat. Ihr beschworenes Versprechen aber halten sie der Sage nach auch im Tode noch. Alle sieben Jahre öffnet sich um Mitternacht ihr Grab, zwei Schatten entsteigen demselben und setzen sich kosend unter die Linden. Mit dem Schlage Eins aber versinken sie wieder, um sich nach Verlauf von sieben Jahren an derselben Stelle auf eine Stunde wieder zu vereinigen. Die Aebtissin aber, welche, um die arme Nonne zu überraschen, sich mit einigen Andern hinter einer Hecke verborgen hatte, ward natürlich ebenfalls von dem Gewitter überfallen; erschrocken floh sie vor den Blitzen nach dem Kloster zurück, allein kaum hatte sie das Innere desselben betreten, so fiel ein zweiter Donnerschlag und steckte das entweihte Haus an allen Ecken und Enden in Brand. Nur wenige Nonnen wurden gerettet, die übrigen sammt der Aebtissin wurden gräßlich verstümmelt unter den Trümmern hervorgezogen. Die Sage erzählt, daß sie in eine Schlange verwandelt alle sieben Jahre dem Thun der Liebenden zusehen muß.

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S. Sagen und Geschichten aus der Vorzeit des Harzes S. 385.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 538-539.
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