631. Die Teufelsmühle.743

[586] Der Gipfel des Rammberges, der eine Stunde südwärts von Gernrode und dem Stufenberge und ebensoweit westwärts von Ballenstädt, einer Stadt im Fürstenthum Anhalt, ohngefähr 2000 Fuß über die Meeresfläche sich erhebt, bietet dem Wanderer einen überraschenden Anblick dar. Die ganze gewundene Kuppe des Berges ist mit großen Granitblöcken übersäet, die theils über einander aufgethürmt, theils zerstreut umherliegen. Besonders zeichnet sich eine Felsengruppe auf der höchsten Spitze des Berges aus. Hier liegen mehrere ziemlich unregelmäßige Schichten solcher Granitfelsen, von sehr beträchtlichem Umfang über einander aufgehäuft, zum Theil wie durch die Kunst abgerundet und geebnet. Sie bilden eine Art von Pyramide, welche ganz isolirt dasteht und sich auf dreißig Fuß über den flachen Berggipfel erhebt. Rings umher liegen Tausende von größern oder kleinern Granitblöcken zerstreut. Die Aussicht von dieser Felsenspitze, auf der seit der Mitte dieses Jahrhunderts ein Thurm erbaut ist, ist vielleicht einzig in Norddeutschland, indem sie beide Seiten des Harzes beherrscht. Diese Felsenmasse ist in der ganzen Gegend unter dem Namen der Teufelsmühle bekannt. Das Volk erzählt sich davon Folgendes.

Der Rammberg hat seinen Namen von dem Gott Ramm, den die alten Sachsen hier verehrten. Auf der Felsenspitze, die jetzt die Teufelsmühle heißt, stand einst sein Bild, und die Bewohner des schönsten und bevölkertsten Theils des Sachsenlandes konnten die Opferfeuer sehen, welche die Priester hier anzündeten. Aufsteigende Dampfsäulen verkündeten es den nahen und fernen Anwohnern des Harzes, wenn neue Opfer erwartet wurden. Dann strömten Ramms Verehrer aus dem ganzen Hartingau herzu und freuten sich der wieder hell auflodernden Flamme.

Als Karl und Winfried die deutschen Götzenaltäre umstürzten, verloschen allmälig auch Ramms Feuer. Aber statt seiner trieb nun einige Zeit lang der Teufel sein Wesen auf dem unwirthbaren Gebirge.

Ein Müller hatte sich am Abhange des Rammberges eine Windmühle erbaut, der es aber von Zeit zu Zeit am Winde fehlte. Bald stieg in ihm der Wunsch auf, eine freistehende Mühle auf dem höchsten Gipfel des Berges zu haben, die beständig im Gange bleiben mußte, der Wind komme nun vom Morgen oder vom Abend, vom Mittag oder Mitternacht. Schwierig aber[586] schien ihm doch für Menschen die Erbauung einer großen Mühle auf einer solchen Höhe, noch schwieriger die Befestigung derselben bei den Stürmen, die gewöhnliches Machwerk wie Stoppeln wegführten. Sein immer wiederkehrender Wunsch und die Vorstellung der Unmöglichkeit der Befriedigung gestatteten ihm weder Tag noch Nacht Ruhe. Und bald erschien der Teufel und bot seine Dienste an. Nach langem Dingen und Bieten verschrieb sich ihm der Müller nach einem dreißigjährigen Leben zum Eigenthum, und der Böse versprach dagegen, ihm eine ganz tadelfreie Mühle von sechs Gängen auf dem Gipfel des Rammberges zu erbauen und zwar in der nächsten Nacht vor dem Hahnenschrei.

Der höllische Baumeister thürmte also die Felsen auf einander und baute eine Mühle sonder Gleichen. Bald nach Mitternacht holte er den Müller aus seinem Hause am Abhang des Berges, um die neue Mühle zu prüfen und zu übernehmen. Unter lautem Herzpochen folgte ihm der Müller und fand Alles über seine Erwartung. Gern hätte er die Hälfte seines Lebens für die Entdeckung eines Fehlers gegeben, aber er fand Alles in der besten Ordnung. Schon wollte er zitternd die Mühle mit der schrecklichen Bedingung übernehmen, als er entdeckte, daß einer von den Steinen fehle, die dem Müller unentbehrlich sind. Der Baumeister läugnete lange diesen gerügten Fehler, mußte ihn aber eingestehen. Augenblicklich wollte er ihn ersetzen, aber als er jetzt durch die Lüfte herabschwebte mit dem Stein, siehe! da krähte der Hahn auf der untern Mühle. Wüthend über seinen verfehlten Zweck faßte der Teufel das Gebäude, riß Flügel und Räder und Wellen herab und streuete sie weit umher. Dann schleuderte er auch die Felsen, die er hoch bis an die Wolken aufgethürmt hatte, daß sie den ganzen Rammberg bedeckten. Und nur ein kleiner Theil der Grundlage blieb stehen, zum ewigen Denkmal der Teufelsmühle.

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Nach Otmar S. 189.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 586-587.
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