663. Die Sage von den Gegensteinen.777

[621] Nördlich von Ballenstedt, nicht weit von dem Wege nach Quedlinburg, nahe bei der Fasanerie Zehling, deren Namen von einem hier noch im 14. Jahrhundert vorhanden gewesenen Dorfe herrührt, befinden sich die sogenannten Gegensteine, zwei einzeln stehende Felsen oder Bruchstücke einer Felsenwand, welche sich von einer mäßigen Anhöhe mehr als 80 Fuß hoch erheben, von denen der eine aber beträchtlich höher liegt als der andere. Der am niedrigsten gelegene Felsen giebt, wenn man nach seiner Mittagsseite spricht, in starkem Echo Alles zurück und heißt daher »der laute«, der höher gelegene that dies früher gar nicht, weshalb er »der stumme« genannt ward, jetzt aber giebt er nach Wegräumung von Gesträuch und Abtragung einer Erhöhung wenigstens einigermaßen den Schall auch zurück. Auf die Spitze des letztern führt seit dem Jahre 1817 eine Treppe und man genießt von hier aus eine entzückende Aussicht. Von diesen Steinen erzählt nun aber das Volk folgende Sage.

Zu jener Zeit, als noch dichter undurchdringlicher Wald die Gegend bedeckte, welche man jetzt als lachende, mit Erntesegen bedeckte Fluren sieht, wo in den Thälern Sümpfe und Moräste lagen und die Höhen von wilden Thieren wimmelten, wo weder Weg noch Steg war, auf welchem ein menschlicher Fuß wandeln konnte, da trieben an der Stelle, wo jetzt die Gegensteine emporragen, böse Geister ihr Wesen. Aus der Ferne sah man es, wie sie zur Nachtzeit, besonders in der Mitternachtstunde, bald wie feurige Kugeln, bald wie hüpfende Flämmchen erschienen, bald mit furchtbarem Geschrei die Nahenden schreckten, bald sie durch süße Zaubertöne anlockten und verführten. Viele, die ihrer spotteten, auf keine Warnung hörten und das Treiben der Unholde in der Nähe sehen wollten, sich auch wohl gar bis zu der Erscheinung durch das Dickicht drängten, kamen nicht zurück. Sie wurden von den bösen Geistern durch die Lüfte entführt, man hörte ihr Wimmern und fand sie meilenweit von den Höhen herabgeschleudert todt auf der Erde liegen. Nur wer ein Gott geheiligtes Leben führte, reines Herzens, fromm und gläubig unserem Herrn und Heiland eigen war, dem konnten die Bösen nichts anhaben.

Da begab es sich eines Tages, daß ein Ackersmann aus dem damals kleinen Dörfchen Ballenstedt früh vor Sonnenaufgang ausgeritten war, um in der Stiftskirche zu Quedlinburg, welche die Kaiserin Mathilde kaum erst gestiftet hatte, seine Andacht zu verrichten, da in Ballenstedt damals eine Kirche noch nicht vorhanden war. In frommen Gedanken ritt er langsam vor sich hin, da überfiel ihn eine unwiderstehliche Müdigkeit und er schlief ein. Sein Gaul, der keine lenkende Hand mehr fühlte, ging vom Wege ab, sich Grünes zu suchen, blieb stehen und fraß. Da erwachte der Bauersmann, er rieb sich verwundert die Augen, denn er sah sich in einer gänzlich unbekannten Gegend, im dunkeln Dickicht ohne Weg und Steg, rings um ihn her thürmten sich hohe Felsen auf, die ihn beinahe einschlossen, er hörte Wasser brausen und unter sich ein tobendes Geräusch, im Vordergrunde aber gähnte ihn eine tiefe Höhle an.

Der Ackersmann hatte von dem Allen nie etwas gehört und kannte eine[622] solche wilde Gegend in der Nähe seines Wohnortes nicht; er meinte durch Zauberei in ein fremdes Land versetzt zu sein. Besorgt schaute er vom Gaule herab Alles an und überzeugte sich endlich, daß er nicht träume, denn die Sonne glänzte über der schauerlichen Gegend und der Gaul grasete munter fort. Wohl kam ihm der Gedanke, daß er im Bereiche der bösen Geister sei, allein da er die Vögel ruhig in der Luft herumfliegen sah, auch sonst kein angsterregendes Geräusch vernahm und die Sonne ebenso warm und belebend als in seinem Dorfe scheinen sah, da dachte er, es möge doch nicht Alles wahr sein, was sich die Leute von dieser Gegend erzählten, und nahm sich vor, nächstens seine Frau und Kinder hierher zu holen und ihnen durch den Augenschein zu beweisen, daß sie sich ohne Grund vor derselben fürchteten. Nach und nach überkam ihn Neugier, er wollte wissen, was in der finstern Höhle sein möge, er dachte, es könne ihm nicht an's Leben gehen, wenn er einmal hineinsehe. Er stieg also vom Pferde, band dasselbe an einen Baum und näherte sich dann erst mit langsamen, bald aber mit schnelleren Schritten der Höhle. Als er aber seinen Kopf vorsichtig in die Oeffnung derselben steckte, erblickte er mitten in der Höhle eine große Braupfanne voll Goldstücke, alle so groß wie ein Handteller. Darauf lag eine silberne, glänzende, viereckige Tafel, mit rothfeurigen funkelnden Steinen eingefaßt, und Buchstaben und Zahlen in der Mitte von großen Granaten, daneben lehnte eine nagelneue Fuhrmannspeitsche und auf der andern Seite lag ein ungeheuer großer schwarzer Bullenbeißer mit glühend feurigen Augen, die hin und her rollten. Wohl zehn Minuten stand der Ackersmann wie versteinert über das, was er sah, da und wußte nicht, was er machen sollte, denn der grimmige Bullenbeißer mit seinen feurigen Augen glotzte ihn grimmig an und verwandte keinen Blick von ihm. Wie er ihn beschwichtigen sollte, wußte er auch nicht, allein endlich waren doch die vielen Goldstücke und die schöne Peitsche gar zu verführerisch; er dachte, ein kühner Griff werde doch wohl erlaubt sein und viel wolle er ja auch nicht nehmen. Beherzt schritt er also in die Höhle hinein, indem er seitwärts auf den Hund blickte, ob derselbe sich zu rühren Miene mache; allein je weiter er auch vorschritt, der Hund rührte sich nicht, er konnte an die Braupfanne treten, hineinschauen und die Hände hineinsenken, das Thier blieb mäuschenstill. Also griff er muthig hinein, holte sich einige Hände voll Gold heraus, stopfte sich schnell damit die Taschen voll und sprang dann mit zwei Sätzen wieder nach dem Eingange der Höhle. Hier sank er vor Aufregung nieder, leerte seine Taschen und fing an voll Begierde die Goldstücke zu zählen, um zu sehen, wieviel er fortgebracht hatte. Da hörte er sein Roß wiehern und mit den Füßen stampfen, er rief ihm also zu: »Warte, ich komme gleich, ich will mir nur noch die Peitsche holen, die ich vergessen habe.« Und wieder stieg er ohne Furcht vor dem schwarzen Wächter, der ganz ruhig blieb, hinab in die Höhle, ergriff die Peitsche und wollte schon umkehren, da fielen seine Augen auf die Braupfanne und aus ihr lachten ihn die blanken Goldstücke so glänzend an, daß er nicht widerstehen konnte, er griff noch einmal und noch einmal hinein und holte sich einige Hände voll heraus. Da erhob sich langsam der schwarze Wächter und fletschte knurrend die Zähne, aber Jakob – so hieß der Bauersmann – fürchtete ihn nicht mehr, sondern dachte: immer knurre zu, aller guten Dinge müssen drei sein, ich nehme noch eine Hand voll. Aber wie er den dritten[623] Griff thun wollte, da sprühten die Augen des Thieres sengende Feuerstrahlen, ein fürchterliches Geheul und Getöse, ein Brausen und Stürmen, ein Blitzen, Donnern und Krachen entstand, die Erde erbebte, die Felsen umher stürzten zusammen, die Bäume brachen um, Sturzbäche rauschten hervor, der Himmel verhüllte sich mit Nacht, und Flammen stiegen empor aus der Tiefe.

Zwar wußte der Ackersmann nicht, wie er aus der Höhle gekommen war, aber so viel Besinnung behielt er doch, daß er sah, wie der Gottseibeiuns unter gräßlichem Getöse und Feuerregen in riesiger Gestalt, in der einen Kralle die Braupfanne mit den Goldstücken, in der andern die glänzende Tafel haltend, aus der Höhle emporstieg, umgeben von vielen kleinen Teufelsgestalten, und wie Alles umher versank und verschwand und nur zwei Felsstücke einzeln stehen blieben. Der Teufel aber schwang sich hohnlachend nach dem am tiefsten gelegenen Felsen, dem lauten, spaltete ihn mit einem Fußtritt und fuhr in seine Oeffnung hinab; aus derselben, die sich sofort hinter ihm und seinen Gesellen schloß, stieg dampfender Schwefelgestank in die Höhe, und der Bauer hörte, wie die Goldstücke im Innern des Felsens – hinab in die Tiefe rollten. Er zitterte vor Entsetzen; wenn er nicht in seinen Händen die Peitsche gehalten und in den Taschen die schweren Goldstücke gefühlt, hätte er geglaubt geträumt zu haben. Hoch erfreut über diesen geretteten Schatz griff er hinein, um sich an dem Anblick des blitzenden Goldes zu weiden, allein wie ward ihm, als er einen Kieselstein herauszog und als, da er seine Taschen umkehrte, nichts als ähnlicher Plunder herausfiel. Er setzte sich weinend auf seinen Gaul und ritt nach Hause, dort kam er aber so matt und erschöpft an, daß er sich sofort niederlegen mußte; allein seine Mattigkeit nahm täglich zu und nach vierzehn Tagen war er todt. Seitdem dies geschehen ist, soll nun der Teufel in dem lauten Gegensteine bei seinem Golde sitzen, der Vorübergehenden durch Nachäffen ihrer Stimme und Nachsprechen ihrer Unterhaltung spotten, wer ihn aber foppt und zu viel auf den Felsen einspricht, den wirft er mit Steinen.

Nun erzählt aber die Sage weiter, es sei einst ein ehrwürdiger Priester ohnweit der Gegensteine vorbeigekommen, der habe von dem Geisterspuk, an den er anfänglich nicht glauben wollte, gehört, habe sich vor dem Felsen auf die Kniee geworfen, drei Kreuze geschlagen und laut zu Gott gebetet, er möge doch diesem Treiben des Höllenfürsten ein Ende machen. Da habe der Böse zwar kein Wort des frommen Mannes nachgespottet, aber aus dem Felsen sei eine sanfte Stimme erschollen und habe folgende Worte gesagt: »Wenn eine Jungfrau, auf den Wogen des Weltmeers geboren, keusch und rein wie die Morgenröthe, in der Mitternachtstunde am Tage Allerheiligen vor dem Felsen erscheine, knieend mit aufgehobener Rechten dreimal ihren ganzen Namen mit lauter Stimme gegen den Felsen ausrufen und dann den Höchsten bitten werde, den Zauber zu lösen und das Ungethüm im Felsen zu vernichten, so werde der Felsen zusammensinken, der Goldschatz heraufsteigen und Eigenthum der Jungfrau werden und der Spuk für immer aufhören.«

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S. Thüringen und der Harz Bd. I. S. 120 etc. und darnach Sagen aus der Vorzeit des Harzes S. 124 etc. (mit Abbildung).

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 621-624.
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