737. Der Herr von der Wewelsburg.854

[695] Auf der Wewelsburg bei Paderborn hauste vor langen Jahren ein böser, grausamer, wollüstiger Herr. Er plagte die Bauern bis auf's Blut, schändete ihre Töchter und Frauen und plünderte die Krämer, die mit ihren Waaren auf der Landstraße einherzogen. Zwar mahnte ihn sein frommer Burgkaplan täglich, er solle sein gottloses Leben lassen und sich bekehren und Gott um Vergebung für seine Missethaten bitten, allein immer umsonst, und als derselbe eines Tages, nachdem der Ritter abermals eine tugendhafte Jungfrau fast vor den Augen des Priesters zu seinem Willen gezwungen hatte, ihm bestimmt erklärte, er wolle nicht länger in diesen unheiligen Mauern weilen und sich anschickte die Burg zu verlassen, da ließ ihn der wilde Ritter greifen und binden und vermaß sich hoch und theuer, er solle doch seinen Willen nicht haben, sondern wenigstens todt im Schlosse verbleiben, und damit packte er ihn und erdrosselte ihn mit eigenen Händen an der Pforte der Kapelle. Gräßlich lachend setzte er sich dann mit seinen Kumpanen zur schwelgerischen Tafel und vertrank mit denselben die Erinnerung an die vollbrachte Schandthat. Endlich taumelte er auf sein Lager, als aber die Thurmuhr Mitternacht schlug, da schwebte von der Kapelle her ein nebelhafter Schatten über den Hof und zur verschlossenen Pforte herein. Es war der Geist des ermordeten Priesters. Derselbe schlich durch die langen Gänge[695] bis an das Schlafzimmer des Burgherrn, die schwere verschlossene Thür sprang von selbst auf und so nahte er sich dem Bette des Schlafenden. Allein dieser erwachte und stand erschrocken auf, da ward ein Geräusch und Getöse und ein Wimmern und Heulen wie von zwei um's Leben Ringenden im Schlosse laut, so daß Alle erwachten, aber Niemand wagte sein Zimmer zu verlassen. Dasselbe nahm nach und nach ab und mit dem Schlage Eins war Alles vorüber. Als man aber bei Tagesanbruch den Ritter wecken wollte, da sah man ihn mit umgedrehtem Genicke todt am Boden liegen und so verzerrt im Gesichte, daß ihn eigentlich Niemand mehr kannte. Auf dem Friedhofe der Wewelsburg fand man aber am nämlichen Tage einen frischen Grabhügel, von Niemandem aufgeworfen, darin hatte sich der fromme Kaplan selbst gebettet.

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S. Seiler S. 71.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 695-696.
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