746. Der Wirth von Bielefeld.865

[704] Einstmals zur Kriegszeit lagen bei einem Gastwirth zu Bielefeld vier Soldaten im Quartier, welche des Nachts viel Geschäfte zu haben schienen und gewöhnlich erst mit grauendem Morgen heimkamen, mit andern Worten vier Erzspitzbuben. Dies merkte der Wirth auch sehr bald, weil er aber[704] dabei wenig oder nichts zu gewinnen hoffte, wenn er sie anzeigte, so schwieg er und gab ihnen zu verstehen, daß sie von ihm durchaus nichts zu befürchten hätten. Jetzt wurden aber die uniformirten Diebe vertraulich und rückten dreist mit dem Anerbieten heraus, daß der Wirth, wenn er bei ihren nächtlichen Recognoscirungen als Schildwache dienen wollte, dafür den fünften Theil der Beute ungeschmälert empfangen sollte. Der verschmitzte Wirth antwortete, er wolle zwar mitgehen, allein angreifen wolle er nichts, nur wenn er etwas von ihnen geschenkt erhalte, wolle er es annehmen. Die Soldaten bewunderten die heuchlerische Gewissenhaftigkeit des Wirths, nannten ihn aber doch ihren guten Kameraden und brauchten ihn fortan als Aufpasser. Allein eines Nachts ward die ganze Gesellschaft gefangen genommen und ihr der Prozeß gemacht; der Wirth blieb stets vor Gericht dabei, er habe nie etwas gestohlen, sondern sei nur aus Gefälligkeit mitgegangen. Die Richter erwiderten hierauf nichts, allein als das Urtheil gesprochen ward, da ward er eben so gut zum Galgen verurtheilt wie die vier Soldaten, und so geschah es auch, alle fünf mußten nach dem Grundsatz: »Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen«, baumeln. Seit der Zeit ist aber in Bielefeld ein Sprichwort Mode geworden, das lautet: »Er geht mit wie der Wirth von Bielefeld.«

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Nach Ziehnert Bd. I. S. 170.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 704-705.
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