789. Das Muttergottesbild zu Brenkhausen.911

[743] Die Nonnen im Kloster Brenkhausen wollten einmal zur Zierde ihrer Kirche ein Bild der heiligen Jungfrau haben und ließen einen berühmten Maler aus weiter Ferne kommen, es zu verfertigen. Ein geräumiger Saal im Kloster wurde dem Meister zur Werkstatt angewiesen und gleich einige Tage nach seiner Ankunft begann er die Arbeit. Wie aber dieselbe so weit vorgerückt war, daß man schon die Füße, Hände und den Mantel der heiligen Frau erkennen konnte, kam die Aebtissin alle Tage und sah nach dem Bilde, wie es wuchs und seiner Vollendung rasch entgegenging. Zwischen durch hörte sie aber auf des Malers Erzählungen von seiner Heimath in der Ferne, von seinen wunderbaren Schicksalen und von den Bildern, die er hier und da gemalt. So kam sie denn alle Tage, ihre Besuche wurden immer länger und ebenso seine Erzählungen, zuletzt sah sie nicht mehr auf das Bild und nur auf den Maler und ebenso war es mit diesem, er machte nur noch wenige Pinselstriche in ihrer Gegenwart an demselben und das Bild rückte[743] nicht mehr vor. Das kam aber daher, daß eins zu dem andern eine glühende, sündige Liebe gefaßt hatte. Endlich mußte aber das Bild doch fertig werden und der nächste Feiertag ward zu seiner Aufstellung bestimmt. Als derselbe angebrochen war, war die Kirche gedrängt voll von Menschen, die alle das Bild sehen wollten, allein als es enthüllt ward, da hatte dasselbe vollständig die Züge der Aebtissin und es war, als wenn dieselbe in bunte Gewänder gehüllt auf das Volk herabsähe. Jetzt traten die Priester herzu und erhoben segnend die Rauchfässer auf das Bild und besprengten es mit geweihtem Wasser. Da fiel aber die frevelhafte Schilderei plötzlich mit großem Geräusch von ihrem Fußgestell auf den Boden und als man sie aufheben wollte, war die Leinwand von oben bis unten zerrissen, das Gesicht war aber ganz unkenntlich geworden. Der fremde Maler aber ist seit dem Augenblicke verschwunden gewesen und Niemand, selbst die Aebtissin nicht, hat ihn je wieder erblickt.

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S. Seiler S. 32.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 743-744.
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