11. Der fromme Hirte.

[13] (Poetisch behandelt von Montanus Bd. I. S. 16 etc.)


Einer der höchsten Waldrücken im Bergischen wird der Lüderich (von Loh oder Lüh, heiliges Feuer) genannt, an seinem Fuße braust die silberhelle Sülz dahin und von seinem Gipfel aus kann man bis zum Rheine sehen. Derselbe zeigt noch heute Spuren eines frühern Einsturzes, welche aber nichts weniger als vulkanisch sind. Die Sage berichtet uns als Ursache desselben folgende Mär.

Vor mehr als tausend Jahren als der Lüderich viel höher noch als jetzt war und in frischem Grün weithin glänzte, lebten auf ihm und in seiner Nähe wilde Heiden, welche die Christen an den Gestaden des Rheins oft mit Brand und Mord schädigten, ja viele aus der Mitte derselben als Gefangene fortschleppten und sie entweder als Sclaven bei sich behielten oder ihren finstern Götzen opferten. Darum sahen sich die Christen genöthigt, zur Schutzwehr gegen ihre Einfälle an der Grenze ihrer Marke feste Burgen zu erbauen, wie denn eine solche das starke Bensberg war. Die Heiden aber konnten nunmehr nicht mehr wie früher ihre unersättliche Habgier durch das Gut ihrer Nachbarn stillen, sie mußten auf andere Mittel sinnen, und so kam es denn, daß der Böse ihnen den Vorschlag machte, sie sollten unter seiner Führung im Lüderich nach Gold und Edelsteinen suchen, deren es dort nicht wenige gebe. Das ließen sich die Verblendeten nicht zweimal heißen, sie machten einen Bund mit ihm und der Kobold bahnte ihnen einen Weg tief in die untersten Klüfte des Berges und in großer Masse förderten sie Gold, Silber und Diamanten sowie anderes edeles Gestein zu Tage. Mit dem aber was sie aus der Erde brachten und dem grauen Stein des Berges erbauten sie sich Paläste an und auf dem Berge und kluge Zwerge schmückten die Hallen derselben mit den herrlichsten Juwelen aus. Durch diese mit leichter Mühe errungenen Schätze wurden sie aber immer übermüthiger, sodaß sie nicht blos dem Christengott zu dienen sich weigerten, sondern ihn sogar verhöhnten. So warfen sie einst aus dem dunkeln Walde des Lüderich ein Weizenbrod, unter welchem sie sich den Christengott vorstellten, hinab in die Tiefe und riefen dazu: »Herrgott laufe und falle Dich todt!« und als es fortrollend in die Tiefe sank und dort zerbrach, da wälzten sie ein zweites ihm nach und schrieen: »Teufel laufe dem Gotte nach!«

Während sie aber diesem frevelhaften Spiel, das sie das Herrgottspiel nannten, nachhingen, hütete ein armer Christensclave die Schafe eines bösen Heiden auf dem Lüderich und entsetzte sich, als er das Ungeheuerliche mit ansehen mußte. Da kam auf einmal ein Vöglein mit glänzendem Gefieder auf ihn zugeflogen, setzte sich auf eine hohe Buche und sang mit lieblicher Stimme: »Schäfer, daß Dich Gott verschone, treibe fort mit Deinen Schafen hinab ins Thal, Gott will diese Heiden strafen, der Lüderich wird gleich einstürzen!« Und der Hirt trieb schnell die Heerde zum untenfließenden Bach hinab. Da erhob sich in den Eingeweiden des Berges ein fürchterliches Brausen und Tosen, die Oberfläche desselben hob sich und berstete auseinander und alle Heiden, die auf und in den Schluchten des Berges und in ihren kostbaren Palästen waren, wurden von der Erde verschlungen. Aus dem Schooße desselben aber floß von Stund an ein von ihrem Blute rother[14] Bach hervor und neben demselben ein zweiter, der von den vielen Thränen der gerade aus dem Thale zurückgekehrten um ihre Männer weinenden Heidenweiber entstanden war. Das Blutbächlein und die Thränenquelle werden noch heute den Neugierigen dort gezeigt, und ebenso der Eingang jener tiefen Gruben, aus denen sie einst ihre Schätze geholt hatten, der sogenannte Heidenkeller. Bei Nachtzeit aber geht Niemand dort vorbei, denn dort gehen die Geister der lebendig begrabenen Heiden um, und heraus aus dem Innern des Berges vernimmt man Klopfen und Hämmern, als wenn dort Bergleute arbeiteten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 13-15.
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