16. Der Strunderbach.

[18] (Nach Montanus Bd. I. S. 97.)


In der Nähe des ehemaligen Deutschordenshauses Strunden, auch Herrstrunden, eine Stunde oberhalb Gladbach gelegen, entspringt jetzt der sogenannte Strunderbach, der nach einem Laufe von kaum zwei Stunden bei Mühlheim in den Rhein fällt. Derselbe hatte aber ehemals einen andern Namen und entsprang nicht wie jetzt in einem tiefen Thale, sondern eine Viertelstunde höher auf einem Wiesenabhange des Gehöftes, das jetzt die Spitze heißt, und die Quelle nannte man den Asenborn, weil sie den Asen, den Obergöttern der heidnischen Germanen geheiligt war. Obgleich das[18] Christenthum, welches seit dem achten Jahrhundert sich über ganz Berg verbreitet hatte, der Quelle ihre Wunderkraft nahm, so verrichtete der Bach doch sonst seine alten Dienste, d.h. er trieb Mühlen bis in's 16. Jahrhundert hinab. Da kamen auf einmal weit aus der Ferne Zigeuner in das Bergische Land, von den dortigen Einwohnern Heiden genannt, weil sie nicht Gott und die Heiligen, sondern böse Geister verehrten und Teufelskünste trieben. Sie waren übrigens von abscheulichem Ansehn, kaum vier Schuh hoch, gingen in Lumpen gehüllt und ihre Kinder fast nackt. Sie hielten sich in den dichten Wäldern in einzelnen Schaaren auf, von denen jede ihren Hauptmann hatte. Angeblich nährten sie sich von Kräutern und Wurzeln, die sie in den Wäldern ausgruben, oder auch vom Fleisch kleiner Raubthiere, an denen damals die Wälder reich waren; allein es kam ihnen auch nicht darauf an, in den Dörfern, in deren Nähe sie sich herumtrieben, ein Stück Vieh zu stehlen, wenn sie es unbemerkt thun konnten.

Einst wohnte nun eine solche Zigeunerhorde in dem Theile des Waldes, wo die Spitze gelegen ist und der Bach, von dem hier die Rede ist, vorbeifloß. In tiefer Thalschlucht zeigt man heute noch eine wundersam gestaltete Höhle, wo ihre Wohnung war und wo sie von Landleuten häufig aufgesucht wurden, die sich für Geld und Lebensmittel von ihnen wahrsagen ließen und sie auch zum Beschwören von Ungewittern und Feuersbrünsten gebrauchten. Nun stand aber an der eben genannten Spitze eine Mühle, welche der Bach trieb, und der Müller war ein aufgeklärter Mann, der an kein Teufelswerk glaubte, also auch die Zigeuner nicht in Nahrung setzte, im Gegentheil Andere vor ihnen warnte. Nun hatten diese einige magere Kühe, welche sie natürlich auf den Wiesen der Dörfler weiden ließen. Diese ließen sich dies auch aus Furcht vor der Rache der Zigeuner ruhig gefallen, nur der Müller drohte, ob ihn wohl seine Freunde und Nachbarn davon abmahnten, wenn die Zigeuner ihr Vieh auf seinen Acker treiben würden, da solle ihn Niemand hindern, dasselbe ohne Gnade todtzuschießen.

Dies vernahmen die Zigeuner und so sendeten sie denn eine von ihren alten Frauen mit einer braunen Kuh hinab, daß dieselbe in des Müllers Garten weiden solle. Kaum hatte aber der Müller das fremde Vieh in seinem Kohlstücke gewahrt, als er voller Wuth herauslief und unter Schimpfen und Drohen die Zigeunerin aufforderte, augenblicklich seinen Garten zu verlassen, sonst sei es um ihre Kuh geschehen. Da kreischte das alte Weib:


Schühß Du mir dhut ming Köhchen, dat brung,

Su säll dä Bahch Dir sprengen zo Herrstrung.


(Wirst Du mein braunes Kuhchen verwunden, so soll der Mühlbach quellen zu Herrstrunden.)


Darauf lachte und kicherte sie; der Müller aber ließ sich nicht einschüchtern, sondern immer zorniger werdend gab er aus seiner Flinte Feuer und, pardautz, da lag die Kuh mitten durch den Leib geschossen. »Nun ist das Lachen an mir!« rief der Müller der Zigeunerin zu; allein diese rief: »Das wird sich gleich zeigen!« und lief an den Bach hinab. Dort schnitt sie ein Weidenstäbchen, schälte die Rinde ab, strickte ein Hexenband darum und murmelte zwischen den Zähnen, während sie das Stäbchen in den Bach warf:[19]


Stocke, stocke Asenborn,

Dich verwünscht der Heidenzorn!

Quelle, quelle tief im Thal

Wieder an den Sonnenstrahl;

Sprudle durch des Teufels Macht

Zu Herrstrunden aus der Nacht!


Dazu machte sie so sonderbare Geberden und verzerrte das Gesicht dermaßen, daß es dem Müller Angst wurde und da er eben den Mühlstein klappern hörte, als wenn keine Frucht mehr aufgeschüttet sei, so lief er in die Mühle. Aber wie erschrak er, als dort plötzlich Alles still ward und Rad und Getriebe ruhig standen, als wären sie festgebannt. Er zog an der Schleußenstange, allein die Schleuße war offen und kein Tröpfchen Wasser floß herab. Da lief er hinaus an den Damm, aber o Schrecken! das Bett war trocken, kein Steinchen war mehr naß und nichts regte sich in ihm als die bunten Forellen, welche vergeblich nach ihrem Elemente herumtanzten. Wüthend ergriff der Müller seine Axt und lief in den Wald, die Zigeuner zu erschlagen, wo er sie finde; aber es war keiner mehr zu sehen noch zu hören; er hörte aber später, es seien um diese Zeit eine große Anzahl dieser Heiden auf der fliegenden Brücke zu Mühlheim auf das jenseitige Rhein-Ufer übergesetzt. Zu den Schiffsleuten aber sagten sie, sie verließen auf immer das Bergische Land, nähmen aber auch die gute Zeit mit. Nun hätte der kluge Müller gern sein halbes Vermögen hingegeben, hätte er nur sein Wasser wiederbekommen können. Umsonst, das Bett des Baches blieb trocken wie zuvor; unten aber im tiefern Thale, nahe bei dem Deutschherrnhause Strunden quoll der Bach stark und klar, wie er noch heute zu sehen ist, hervor. Lange noch sah man die Mühlräder der Spitzenmühle über trocknen, grasüberwachsenen Gräben, später aber verwandelte man ihre unnütz gewordenen Räume in ein Wohnhaus und daneben erhob sich eine dem h. Jacob geweihte Waldkapelle, wohin viel gewallfahret wurde, denn man sagte, daß sich das Loos der Todtkranken, für deren Genesung man dort zu flehen pflegte, binnen drei Tagen zum Tode oder zur Heilung wenden muß. Sonderbarer Weise sind aber mit jener Verwünschung des Baches auch alle andern Wasseradern aus jenem Boden verschwunden, denn wie oft man auch bis auf die neueste Zeit herab dort um Brunnen zu graben, nach Wasser gesucht hat, wie tief man auch grub, selbst tiefer als die Quelle zu Strunden, niemals hat man solches finden können. Die Zigeuner- oder Zwergenhöhle bei Herrstrunden, an sich schon ein merkwürdiger Korallenriff von seltnen Versteinerungen, ist noch sichtbar, und wagt sich Niemand gern hinein.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 18-20.
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