36. Siegfrid der Drachentödter zu Xanten.

[48] (Nach Kiefer S. 17.)


Vor langen langen Jahren bewohnte ein niederländischer Fürst, Siegmund genannt, mit seiner Gemahlin das Schloß Xanten. Sie hatten einen Sohn Siegfrid geheißen, der sich durch außerordentliche Körperstärke auszeichnete, aber auch einen harten unbeugsamen Sinn besaß. Kaum eilf Jahre alt hatte er keine Ruhe mehr in dem väterlichen Schlosse, er sehnte sich hinaus in die ungebundene Freiheit und so lief er denn eines schönen Tages auf und davon, wanderte den Rhein hinauf und kam endlich am Fuße des Siebengebirges zu dem berühmten Waffenschmied Mimer, bei dem er sich in die Lehre begab.

Zwar zeigte er hier im Heben großer Lasten sich sehr geschickt, aber als Schmied war er eigentlich nicht zu gebrauchen, denn er zerhieb alle Eisenstangen und trieb durch seine gewaltigen Schläge den Ambos in den Boden. Aber auch sonst machte er sich unangenehm, er fing mit allen seinen Kameraden Streit an und natürlich bezwang er sie alle und schlug sie zu Boden. Da dachte der Meister darauf, wie er ihn wohl am besten los werden könne. Er schickte ihn also eines Tages in den Forst um Kohlen zu brennen, allein nach einer Gegend hin, wo ein fürchterlicher Lindwurm hauste. Dieser war ursprünglich ein Riese, Fafnir genannt, der Bruder des Schmied Mimer gewesen und nur in dieses Unthier verwandelt worden. Er bewachte aber einen ungeheueren Schatz an Gold und Edelsteinen, den man zuweilen aus den Klüften eines hohlen Berges herausblinken sah. Siegfrid zündete also, wie ihm geheißen, hier einen gewaltigen Meiler an,[48] allein auf einmal kam der Lindwurm mit aufgesperrtem Rachen auf ihn los, um ihn zu verschlingen. Da riß er schnell entschlossen einen großen Eichbaum aus dem Feuer und stieß dessen halbverbranntes Ende dem Thiere in den Rachen. Von Schmerz gepeinigt wälzte sich der Drache am Boden und suchte mit seinem ungeheuern Schweife Siegfrid zu treffen, allein dieser wußte seinen Schlägen geschickt auszuweichen und so gelang es ihm, dem ungeheuren Thiere den Kopf abzuhauen. Den Wanst warf er dann ins Feuer, allein er erstaunte nicht wenig, als er aus demselben einen Strom von Fett herauskommen sah und einen Vogel singen hörte, der ihm mit menschlicher Stimme zurief, er solle seinen Leib in demselben baden, dann werde er unverwundbar sein, denn seine Haut werde zu Horn werden. Er folgte natürlich diesem Rathe, warf sich entkleidet in das Fett und salbte sich den ganzen Körper damit, nur eine Stelle an der rechten Schulter blieb unberührt davon, denn diese war durch ein von einem Baume gefallenes Blatt zufällig bedeckt worden. Nach vollbrachtem Siege kehrte er in die Schmiede zurück, erschlug den heimtückischen Schmied Mimer, wählte sich dann aus dessen Waffensammlung das beste Schwert und die glänzendste Rüstung, aus seinem Stalle aber den besten Renner, Grani genannt, und zog dann um neue Abenteuer aufzusuchen von dannen. Der Ort im Hardtgebirge aber, wo er den Lindwurm besiegt, heißt bis auf diese Stunde noch der Drachenfels.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 48-49.
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