52. Die Kirche zu Maria-Ablaß in Cölln.

[71] (Poetisch behandelt bei Ziehnert Bd. II. S. 177 etc.)


Mit Kaiser Konrad III. war im Jahre 1147 ein stattlicher Ritter aus dem Rheinlande nach Palästina gezogen und hatte wacker in mancher Schlacht für den Christenglauben gestritten. Da begab es sich, daß in einem Scharmützel mit den Saracenen diese die Christenstreiter übermannten und nach tapferer Gegenwehr in die Flucht trieben. Der Ritter aber ward gefangen und mit schweren Ketten beladen in ein tiefes Gefängniß geworfen. Am andern Morgen aber ward ihm kund gegeben, daß er zu wählen habe zwischen grausamer Hinrichtung oder Annahme des Türkenglaubens. Der Ritter aber hing doch noch am Leben und er betete deshalb inbrünstig zur h. Jungfrau, sie solle ihn im Glauben stärken und unter den Martern der grausamen Feinde stark erhalten, daß er nicht abfalle von seinem Glauben. Da überkam ihn plötzlich ein Schlummer und er sah im Traume die h. Jungfrau, wie sie ihm freundlich zunickte. Als er aber erwachte, da waren seine Fesseln abgefallen und die Thüre seines Kerkers stand offen, so daß er frei herausgehen konnte. Da beschloß er zu Ehren seiner Retterin ihr in seiner Vaterstadt ein Kirchlein zu bauen; er wanderte also so schnell er konnte als Pilger gekleidet wieder nach Deutschland und erbaute ihr in Cölln, seiner Heimath, ein kleines Kirchlein. Als dieselbe aber fertig war, kam sie ihm zu klein vor und er ließ sie wieder einreißen um eine größere an ihre Stelle zu setzen. Als man aber deshalb die Mauern einzureißen begann, fand man darin ein Bild der h. Jungfrau und zwar ganz so wie sie dem Ritter in[71] Palästina im Traume erschienen war. Da meinte der Ritter, es sei ihr Wille, daß die Kirche genau so klein bliebe, wie sie war und er hing in ihr seine Ketten und Spornen auf, wie sie noch heute zu sehen sind. Viel kamen nun der Pilger von nah und fern an jenen Ort um vor dem wunderbaren Bilde zu beten. Unter andern kam auch einst eine Kaiserin dahin, als sie aber das Bild so verblichen und verkommen sah, da sprach sie den Wunsch aus, man möge doch die Farben wieder auffrischen, weil man die Züge der h. Jungfrau ja kaum noch zu erkennen vermöge. Dies that man auch, die Farben strahlten gar prächtig in neuer Frische und eine Strahlenkrone umglänzte das Antlitz der h. Jungfrau, als aber die Beter nahe kamen, da verblichen die Farben auf einmal wieder, von des Künstlers Hand blieb keine Spur mehr übrig, man sah blos das alte unscheinbar gewordene Bildniß, und so oft man auch dasselbe seitdem zu erneuern versucht hat, immer ist das alte Gemälde wieder durchgekommen und hat die neuen Farben wieder verzehrt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 71-72.
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