67. Der Münsterbau, die Wolfsthüre und der Daumen des Teufels zu Aachen.

[87] (Nach Müller S. 6. etc. Poetisch behandelt v. Ziehnert Bd. I. S. 12 etc.)


Auf keins der vielen Bauwerke, welche Kaiser Karl der Große in seinem langen Leben unternommen hat, wendete er so viel Sorgfalt als auf den Bau des Münsters zu Aachen, er ließ aus Rom und Ravenna Säulen und Marmorsteine, von Verdun große Quadern und aus Steinbrüchen in der Nähe und Ferne Unmassen von Material herbeischaffen. Ansegis, Abt zu Fontanell in der Normandie, hatte den Plan des Baues entworfen und Karl's Geheimschreiber Eginhard mußte ihn ausführen, er selbst aber sah aufs Recht[87] und so kam es, daß die Ausführung des Plans bereits ziemlich weit gediehen war, als der Krieg mit den Sachsen den Kaiser nöthigte, Aachen zu verlassen und ins Feld zu ziehen. Vor seiner Abreise aber ließ er den Senat der jungen Stadt kommen, band ihm die fleißige Förderung seines großartigen Unternehmens auf die Seele und gab ihm, wie er glaubte, hinreichende Mittel, um den Bau zu vollenden. Allein obwohl der Rath der Stadt Alles aufbot, dem Befehle des Kaisers nachzureichen, so vermochte er doch nicht mit dem ihm angewiesenen Gelde auszureichen, sondern konnte zuletzt selbst die Handwerker und Arbeiter nicht mehr bezahlen, was zur Folge hatte, daß die geschicktesten derselben die Stadt verließen und keine Aussicht da war, ohne Bezahlung Ersatz für dieselben zu finden. Gleichwohl hatte aber der Stadtrath dem Kaiser gelobt, vor seiner Rückkehr das Münster fertig zu bauen. So saßen nun die Herren beisammen und zerbrachen sich rathlos die Köpfe, wo sie das benöthigte Geld hernehmen sollten. Da sagte einer aus ihrer Mitte, Geld müsse herbeigeschafft werden und sollte man es vom Teufel selbst leihen. Und siehe plötzlich stand ein stattlicher Fremder unter ihnen, der ihnen ganz offen sagte, er sei der Gottseibeiuns, habe von der Angst und Noth der Väter der Stadt gehört und sei bereit ihnen zu helfen, ja selbst mit Hand anzulegen, daß der Dom bald fertig werde, nur müßten sie sich eine kleine Bedingung gefallen lassen. Die Rathsherrn freuten sich natürlich gar sehr über das Anerbieten, fürchteten aber eine Falle und erkundigten sich nach der kleinen Bedingung, und als sie hörten, diese bestehe darin, daß die erste Seele, welche den Dom nach seiner Vollendung betrete, dem Teufel gehören solle, da erschraken sie freilich und wollten nichts davon wissen. Satanas aber malte ihnen den Zorn des Kaisers, wenn er zurückkäme und den Dom nicht fertig fände, so schlimm vor und meinte, für alles das was er ihnen böte, sei doch eine einzige Seele nur eine sehr dürftige Bezahlung, daß sie schließlich auf den Handel eingingen. Darüber ward denn ein förmlicher Contract aufgesetzt und mit allen Unterschriften des wohllöblichen Stadtraths dem Teufel eingehändigt. Kaum war aber der Pact in den Händen des Letztern, als auch Geld in Hülle und Fülle da war, der Münsterbau ward mit solcher Eile betrieben, daß die Vollendung desselben schneller ging, als sich der Rath gedacht hatte. Denn mittlerweile war der höllische Vertrag zu den Ohren der Bürgerschaft gedrungen und diese ging von der Ansicht aus, daß wie der Stadtrath denselben ohne die Bürger zu fragen, abgeschlossen habe, er nun auch verpflichtet sei, die Seele herbeizuschaffen und da man nun nicht verlangen könne, daß ein Bürger sich zu diesem Opfer entschließen solle, so möge nur einer aus der Mitte des Magistrats in den sauren Apfel beißen und zuerst in den Dom treten.

Da war nun guter Rath theuer, aber wie immer half ein schlauer Mönch dem geängstigten Collegium aus der Noth. Er meinte nämlich, der Teufel habe ja nur die erste Seele verlangt, die zur Thüre des Doms hereingehen werde, dies müsse ja nicht nothwendig eine Menschenseele sein, eine Thierseele werde dies auch thun, und so athmeten die Rathsherrn wieder auf, denn sie sahen, daß der Mönch doch noch listiger sei als der Teufel selbst. Endlich war der Bau fertig und über Nacht brachte der Teufel das schöne, große, broncene Thor zum Haupteingange und hing dasselbe mit eigenen Händen in die Angeln. Am folgenden Tage stand dasselbe aber[88] weitgeöffnet und hinter demselben saß der Teufel, denn es stand zu erwarten, daß heute die Neugierde eine Menge Leute in den Münster locken werde, und die erste Seele war dem Vertrage nach sein. Nun hatten aber die Rathsherren in der Umgegend einen Wolf einfangen und einstweilen in einem Käfig füttern lassen, damit er dem Teufel als erste Seele in den Münster zugetrieben werde, und so geschah es auch. Mit Blitzes Schnelle fuhr der Teufel aus seinem Verstecke über den Wolf her und riß ihm lebendig die Seele aus. Vor Wuth aber über den Betrug, daß man ihm eine Wolfsseele statt einer Menschenseele geopfert, verließ er mit Heulen und Zähnefletschen den Münster und schlug in seinem Grimm die eherne Thüre mit solcher Gewalt hinter sich zu, daß sie einen Riß bekam, er sich selbst aber den Daumen der rechten Hand in einem der Thürknäufe abrenkte, welcher bald erkaltete und heute noch als Wahrzeichen in dem Thürknaufe stecken soll. Einheimische und Fremde bemühten sich bis jetzt noch vergebens denselben herauszuziehen, es gelingt wohl, ihn bis zum Rande hervorzuziehen, allein dann sinkt er immer wieder von selbst in seine Höhlung zurück, als wenn der Teufel selbst ihn an sich zöge. Wem es gelingt, ihn ganz herauszuziehen und ihn dem Domkapitel zu überreichen, der erhält von demselben ein goldenes Kleid zur Belohnung.

Zum ewigen Andenken an diese Begebenheiten ließ der Aachener Stadtrath das Bild des Wolfes in Erz gießen mit einem Loche an der Stelle der Brust, wo ihm der Teufel die Seele ausriß, und weil die Seele eines Wolfes einem Tannenzapfen oder einer Artischocke gleichen soll, hat man auch diese in Erz gießen lassen. Auf steinernen Säulen stehen diese beiden Güsse an dem Hauptthore des Münsters, der Wolf rechts, der Tannenzapfen links, das Thor selbst aber heißt die Wolfsthüre und jene beiden Bilder sind die Wahrzeichen der Stadt Aachen, welche jeder Fremde gesehen haben muß.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 87-89.
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