93. Das Gespenst zu Saarbrücken.

[107] (S. Köllner, Geschichte der Städte Saarbrücken und St. Johann. Saarbrücken b.H. Siebert o.J. in 8° S. 522.)


In einem Hause der Saarbrücker Obergasse bei dem sogenannten Herzogsbrunnen lebte in den Jahren 1810-11 eine Familie, zu deren Mitgliedern ein Mädchen von beiläufig 10 Jahren gehörte, in dessen Nähe sich in gedachter Zeit ein seltsames Geräusch oder vielmehr ein Gekratze hören ließ und zwar nur des Abends in der sogenannten Adventszeit. Dieses Gekratze wurde von den Anwesenden vernommen, mochte das Kind fahren, sitzen oder im Bette liegen, so kratzte es auf dem Boden, am Stuhle oder im Bette. Der damalige Superintendent Rählien ließ das Mädchen auf eine auf den Tisch gelegte Bibel setzen, wobei er den Geist durch Gebet zu bezwingen suchte; aber umsonst, es kratzte während der heiligen Handlung unter der Tischplatte. Es ist begreiflich, daß sobald die Sache ruchbar geworden war, die halbe Stadt zulief, um sich davon zu überzeugen. Man stellte alle möglichen Versuche an, um das Gespenst, denn die Töne konnten nur von einem solchen herrühren, zu vertreiben. Das Mädchen wurde sogar mittelst Stuhl auf den heißen Ofen gesetzt, allein das Gekratze ließ sich auch im Ofen vernehmen und man vermochte weder den Geist zu bannen, noch die Ursache des Geräusches zu entdecken. Daß das Ganze nicht ein leeres Stadtgespräch sei, davon überzeugten sich bald Männer von Bildung und Urtheilskraft. Es kamen Weltliche und Geistliche, welche recht wohl Betrug von Wahrheit zu unterscheiden vermochten, und überzeugten sich durch eigenes Gehör von der Wirklichkeit dessen, was ihnen von Andern bereits betheuert worden war, sie aber ohne eigene Erfahrung nicht glauben wollten. Das Faktum wurde also allgemein anerkannt, aber ergründet wurde nichts und endlich verlor sich die Sache, wie sie gekommen war, ohne daß man der Ursache dieses Gekratzes auf die Spur gekommen ist.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 107.
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