116. Der Märtyrer Werner zu Staleck.

[133] (S. die Ruinen 1834. Bd. III. S. 146 etc.)


Die am Fuße des Stalecker Schloßberges liegende St. Wernerskirche ist über einem Gewölbe gebaut, wo die Juden im Jahre 1287 den Knaben Werner gemartert und getödtet haben. Auf dem Gewölbe des Hauptaltars ist die ganze greuliche Geschichte abgebildet. Hier sieht man links den Richter eintreten, dem ein Jude mit einem scheußlichen Gesicht ein Goldstück darbietet, damit er sich still verhalten möge, und das Goldstück that seine gewohnte Wirkung. Rechts sieht man an einem vergitterten Fensterlein die christliche Magd, die in dem Judenhause diente, und den Richter herbeigerufen hatte. Diese Geschichte ist vermuthlich nicht ganz erfunden, wahrscheinlich haben die Juden, von Natur abergläubisch, mit dem Blute des armen Knaben und der von ihm abgetriebenen Hostie, die er kurz zuvor beim Abendmahl empfangen hatte, einen Aberglauben treiben wollen. Sie entflohen mit dem Leichnam den Rhein hinauf, konnten aber nicht schnell genug gegen den Strom fahren und ließen ihn in der Nähe von Bacharach im Dorngebüsche liegen, wo späterhin dem jungen Märtyrer zu Ehren das Kloster Windesbach errichtet worden. Andere erzählen, die Mörder hätten zu Wesel den todten Knaben[133] in den Rhein geworfen und derselbe sei gegen den Lauf des Flusses geschwommen und bei Bacharach ans Land gekommen. Von den Warten der umliegenden Ritterburgen sah man an dem Orte, wo der Unschuldige im Gebüsche lag, einen ungewöhnlichen Glanz; man fand den Leichnam und die Obrigkeit legte ihn zur Schau. Man legte ein seidenes Kissen unter sein Haupt, man umwand es mit einem goldenen Bande, man legte sein Rebenmesser neben ihn, womit er in den Weinbergen arbeitete, ja man erbaute endlich die schöne, obgleich nicht große Wernerskirche in Bacharach, wovon noch jetzt die sehenswerthen Ueberreste, hoch zwischen Burg Staleck und der genannten Stadt die Augen der Reisenden auf sich ziehen. Nach Einigen haben die Spanier den Leichnam des Heiligen, der unverweset blieb und bei dessen Grabe zahllose Wunder geschehen sein sollen, mitgenommen und von ihnen sei ein Finger und ein Stück Schweißtuch dem Magdalenenstift zu Besançon geschenkt worden (1548), nach Andern aber haben die Einwohner von Bacharach nach ihrem Uebertritt zum lutherischen Glauben seine irdischen Reste begraben und alle sich auf ihn beziehenden Denkmäler vernichtet.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 133-134.
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