121. Die Sage von Thurnberg.

[141] (Nach Fischer Bd. II. S. 300 etc.)


Oberhalb des Fleckens Welmenach oder Wlanigen (Walmich) auf einem hohen Berge liegt das große, aber seit Langem schon verfallene Schloß Thurnberg, auch Dürenberg genannt, bei den Umwohnern aber unter dem Namen der Maus bekannt. Dasselbe soll jedoch ursprünglich den Namen Cunoburg geführt haben, weil es der 21. Kurfürst zu Trier, Namens Cuno, ein geborener Graf von Falkenstein erbaut hatte. Aus der Mitte dieser Ruinen ragt jetzt noch der runde Wartthurm empor und im Innern findet man noch Kellergewölbe, halb verschüttete Brunnen, verfallene Treppen, Verließe etc. Man erzählt sich nun aber von dem Treppenstein und einem großen in die vordere Mauer gefaßten Crucifix folgende Sage.

Der letzte Besitzer der Burg war ein gewisser Reinhart, ein ebenso tapferer als biederer Ritter. Derselbe besaß eine einzige Tochter, Jutta genannt, deren Geburt aber ihrer Mutter das Leben gekostet hatte. Ihre Erziehung ward anfangs von dem Burggeistlichen allein geleitet, da der Ritter fast stets am Hofe des Kaisers lebte, allein als er seines hohen Alters wegen an den zahlreichen Fehden, die damals auszufechten waren, sich nicht mehr betheiligen konnte, kehrte er auf seine Stammburg zurück um seiner Tochter zu leben und sie wo möglich noch bei seinem Leben gut zu vermählen. Die meisten der zahlreichen Freier, die sich dort einfanden, sagten ihm aber nicht zu, weil sein künftiger Eidam ein reicher und angesehener Mann sein sollte, und deshalb begab er sich auch in seinem hohen Alter noch einmal an das Hoflager des Kaisers Otto II. nach Nürnberg, um sich dort vielleicht einen Schwiegersohn nach seinem Sinne auszuwählen. Unterdessen übernahm der alte Burgkaplan wieder die Sorge für die Jungfrau, allein da er derselben nichts Unrechtes zutraute, so ließ er sie unbeaufsichtigt in der nächsten Umgebung der Burg herumstreifen. Auf diesen Wanderungen machte sie die Bekanntschaft eines jungen Ritters, sie trafen sich öfter und[141] endlich wurde ein zärtliches Verhältniß daraus, welches durch zahlreiche Zusammenkünfte, welche die beiden Liebenden in einer Mühle unterhielten, nur noch inniger ward. Da kam endlich ein Brief des alten Ritters, worin er meldete, er werde bald mit einem Grafen aus Westphalen eintreffen, dem er seine Tochter zur Gemahlin versprochen habe. Als der Pater seiner Mündel den Brief vorlas, sah er wohl aus ihrem Erblassen, daß dieselbe Ursache haben müsse, die Ankunft ihres Vaters zu scheuen, er forschte nach und sie gestand ihm endlich, was sie ohne sein Vorwissen gethan hatte. Nun ließ der Kaplan auch ihren Geliebten kommen und als ihm derselbe genügende Rechenschaft über seine persönlichen Verhältnisse gegeben hatte, da führte er beide in die Schloßkapelle, traute sie und hieß sie dann mit einander in ein fremdes Land flüchten, er selbst aber beschloß die Rückkehr des Schloßherrn ruhig abzuwarten, Alles auf sich zu nehmen und sich jeder Rache desselben geduldig auszusetzen.

Mittlerweile kehrte der Ritter mit dem selbst gewählten Eidam zurück, und befahl, der Burggeistliche solle seine Tochter in den Prunksaal zur Verlobung einführen. Derselbe erschien, das Crucifix in der Hand und bat um die Erlaubniß, sich wegen des Nichterscheinens der Jungfrau verantworten zu dürfen. Er erzählte hierauf unerschrocken, was geschehen und in wieweit er selbst hierbei betheiligt war. Sprachlos vor Zorn hörte ihn der Ritter an, allein als er geendet, da herrschte er seinen Dienern zu, den Geistlichen ins tiefste Burgverließ zu werfen, als aber diese vor dem Hochheiligen in des Burgkaplans Hand zurückbebten, da faßte ihn der Greis selbst mit starker Faust, schleppte ihn über die Gänge des Schlosses und stürzte ihn hinab. Da rief der Mönch aus der Tiefe herauf: »In Zeit von Jahresfrist werdet Ihr, Ritter Reinhart, zwischen zwei Sünden und zweierlei entsetzlichen Loosen wählen und Gott selbst wird kaum vermögend sein, Euch daraus zu retten!«

Am folgenden Morgen nahm der Gast von ihm Abschied, rieth ihm seine That möglichst geheim zu halten, um nicht die Rache der Geistlichkeit auf sich zu ziehen, seiner Tochter aber zu verzeihen, allein der Ritter schlug zornglühend auf die steinerne Lehnung der Treppe, wo sie beide von einander Abschied nehmend gerade standen, und sprach: »Hier will ich verderben und keine Ruhe finden, bis der Stein sich abgerieben hat von der Hand der Hinauf- und Hinabgehenden, wenn ich je dem Kinde vergebe, welches seinem grauen Vater soviel Herzeleid gemacht hat!«

Nun lebte der alte Ritter traurige und einsame Tage in der Burg, er schlich durch die öden Zimmer und verwünschte sich und seine Tochter, von dem Burgkaplan aber hörte Niemand mehr etwas, denn da sein Wärter kindisch geworden war, so meinten die wenigen Diener, welche noch in der Burg geblieben waren – die meisten waren aus Furcht vor der göttlichen Strafe, die sie mittreffen könne, entflohen – derselbe habe aus Verzweiflung und Gram über den Tod des Geistlichen den Verstand verloren. Da beschloß der Ritter eines Tages auf der Jagd sich die Sorgen zu vertreiben, er bestieg sein Roß und jagte in den damals dichten Wald am Rheinufer hinein. Sein Gefolge blieb bald hinter ihm zurück und so geschah es, daß, als durch die Rüden aufgescheucht, sich ihm ein wilder Eber entgegenwarf und er, nachdem er seinen Jagdspieß nach ihm geworfen, aber[142] gefehlt hatte, verloren gewesen wäre, wäre nicht aus den Felsenspalten ein ungeheurer Fanghund herzugesprungen und nicht gleichzeitig ein Wurfspieß aus der Luft dem Keiler ins Genick geflogen, der das wüthende Thier todt niederstreckte. Gleichzeitig kam ein junger bleicher Mann auf ihn zu, hob ihn auf und nachdem der Greis ihn gebeten, er möge doch auf sein Schloß kommen, wo er ihm besser als hier danken könne, versprach er ihm noch denselben Abend vorzusprechen. Der Ritter erkundigte sich bei seinen Leuten, ob Niemand den Fremden kenne, allein Keiner wollte ihn schon gesehen haben und so befahl er denn, ins Schloß zurückgekehrt, für seinen Retter die besten Gemächer der Burg in Stand zu setzen. Der Gast ließ lange auf sich warten, erst gegen Mitternacht fand sich am Burgthore der fremde Jäger ein, der ein verschleiertes Frauenzimmer, welches krank zu sein schien, unterstützte. Aus dem Tone der Stimme erkannten die Diener, welche den Gast empfangen sollten, sehr bald, daß die Verschleierte ihres Burgherrn Tochter sei, allein da sie sich an den furchtbaren Eid erinnerten, welchen derselbe geschworen, verschwanden sie mit Zittern, ehe noch das Paar in den Waffensaal, wo der alte Ritter sie erwartete, gekommen war. Als sie eintraten, ging ihnen der Letztere entgegen und fragte, wie der Name dessen sei, dem er sein Leben verdanke, da versetzte der Fremde, er könne am Besten seinen Dank dadurch an ihm abtragen, wenn er ihm verzeihe, was er gegen ihn begangen habe, denn hier neben ihm stehe seine entflohene Tochter. Wie versteinert stand der Burgherr, sprach aber kein Wort, und als sein Schwiegersohn ihn unwirsch über diesen Verzug mit scharfen Worten aufforderte, er möge doch das Heil seiner Seele bedenken, da er selbst dem Grabe schon so nahe stehe, und nicht unauslöschlichen Haß nähren, da faßte er seinen Eidam krampfhaft am Arme und hieß ihn, ihn zu begleiten. Der Ritter that es und so kamen beide bis zum Treppensteine, dort aber stand der wahnsinnige Gefangenwärter, als aber der Ritter Reinhart denselben erblickte, da stand der Geist des ermordeten Geistlichen vor seinen Augen, er stieß einen gellenden Schrei aus, taumelte, stürzte die Stiege hinab und zerschellte den Kopf auf derselben Stelle, wo er seinem Kinde geflucht hatte. Ein rasender Sturm erhob sich, die Burg krachte in ihren Grundvesten und die Knechte eilten, den Einsturz derselben fürchtend, aus ihren Gemächern herbei, am Fuße der Treppe lag der blutende Leichnam ihres Herrn. Sie hoben ihn auf und schafften ihn bei Seite, am nächsten Morgen aber gewahrte man, daß ein großer Theil der Burgmauer eingestürzt war und nun verließen alle Bewohner Thurnberg. Das junge Ehepaar trennte sich ebenfalls, der Ritter ward Mönch zu Engelhartszell und Jutta nahm den Schleier in einem Frauenstift, dem sie alle ihre Güter schenkte. Der Ritter aber wandelt noch heute als Geist herum; stark und hoch von Wuchs, mit weißen Haaren, bleichem Gesicht und eingehüllt in einen nebelgrauen Mantel klimmt er um Mitternacht den Berg hinauf zur Burg. Hier umgeht er das in die Mauer gefügte Crucifix, verneigt sich davor, tritt dann an den Abhang und schaut mit ausgeweinten Augen in die Tiefe, aus welcher ein dumpfes Stöhnen und Klagen heraufschallt. Ehe aber der Hahn kräht, wird er zusehens größer, zerfällt dann Stück um Stück und verschwindet zuletzt gänzlich. Das ist die Sage vom Treppensteine zu Thurnberg.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 141-143.
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