148. Die Armesünderglocke auf dem Maria-Magdalenenthurme.

[162] (Abgebildet von Schäfer a.a.O.)


Während andere Glocken Deutschlands z.B. die Susanna zu Erfurt etc. ihrer Größe oder ihres Gewichtes halber zu Wahrzeichen wurden, verdankt diese Glocke ihren Namen eigentlich einer alten Sage. Diese Glocke wiegt 113 Ctr. und hat in gothischer Minuskelschrift folgende Inschrift: Maria ist der Name mein. Selic musen alle die seyn, die meinen lout hören. oder vernemen spate oder fru. die sprechen Gote dem hern czu. amen. O Rex Glorie veni cum pace amen. Anno Domini MCCCLXXXVI fusa est haec campana in die Alexii.

Nach chronologischen Nachrichten ward diese Glocke am 17. Juli (einem Dienstag) des Jahres 1386 von Michael Wilden im Ohlauer Zwinger gegossen. Der darauf angebrachten Zahl XII. zufolge war sie Wildens zwölfte Glocke. Im Jahre 1677 mag sie einen neuen Glockenstuhl oder doch wenigstens ein neues Gehänge erhalten haben.

Sie führt den Namen »Armesünderglocke«, weil sie abwechselnd mit ihrer Schwesterglocke auf dem Elisabethenthurme bei Ausführung eines Delinquenten unter städtischer Gerichtsbarkeit geläutet ward, und nach einer Notiz im Stadtarchiv ist zuerst 1526 diese Einrichtung getroffen worden. Allerdings ist dort nicht angegeben, welche große Glocke geläutet zu werden pflege, allein da eben diese beiden Glocken seit dieser Zeit bei dieser Gelegenheit wechselsweise geläutet zu werden pflegen, so bezieht sich wohl diese Notiz auf sie. Die Volkssage31 datirt jedoch die Anwendung der Glocke zu diesem Zwecke weiter zurück, bis zu dem Jahre ihres Gusses, also bis 1386 und berichtet von ihr folgende Geschichte.

Es lebte um jene Zeit zu Breslau ein weit und breit berühmter Glockengießer, dem selbstverständlich auch der Breslauer Rath den Guß einer großen Glocke für einen der beiden Thürme der Maria-Magdalenenkirche auftrug. Derselbe bot nun auch Alles auf um etwas Tüchtiges zu leisten und fand hierbei einen wackern Gehilfen in dem Lehrlinge Heinrich, der eigentlich blos darum bei ihm in Arbeit getreten war um sich die Tochter des Meisters, in welche er sich verliebt hatte, durch seine Geschicklichkeit zu verdienen. Als nun bereits alle Vorbereitungen zum Glockengusse gemacht waren, die aus Lehm gebrannte Form fest in den Boden eingerammt stand, die von Wachs geschnittenen Reliefs und Inschriften verlaufen waren, und der Meister mit dem Lehrlinge erwartungsvoll vor dem Schmelzofen auf die Zeichen des fließenden Metalls harrten, rief der Meister aus: »Diese Glocke wird sicherlich meinen Namen verherrlichen, denn so trefflich ist mir noch keine Mischung gelungen!« In diesem Augenblicke ward ihm die Nachricht, daß ein Bote seiner harre, der vom Bürgermeister abgeschickt sei. So unangenehm ihm diese Störung auch war, so mußte er doch gehorchen und er befahl also seinem Lehrling, ja auf Alles gehörig zu achten, bis er zurückkommen würde, und ja nicht vorwitzig dem Zapfen des Ofens zu nahe kommen solle. Zerstreut und seine Gedanken mehr auf andere Dinge gerichtet, hatte der Lehrling eine Weile das Zischen des Metalls nicht beachtet,[163] doch plötzlich durch das immer gewaltsamere Wallen desselben aufmerksam gemacht, trat er zum Zapfen und, wie von unsichtbarer Hand geführt, versuchte er dessen Festigkeit. Da mit einem Schlage sprang dieser heraus und das glühende Metall nahm seinen Weg unaufhaltsam auf der Bahn der Rinne nach des Henkels Bogen. Bestürzt über das Geschehene, begab er sich sofort nach der Wohnung des Meisters, der eben den Boten entließ. Mit athemloser Stimme stammelte er vor ihm niederfallend die Worte: »Meister der Guß ist mißglückt, ich habe aus Versehen den Zapfen herausgestoßen!« Da ergriff der Meister in der ersten Aufwallung seines Zornes ein Messer und stieß es dem Jüngling in die Brust, der entseelt zu Boden sank. Dann stürzte er eilig nach dem Gießhause, um sich von dem Unglücke seines mißlungenen Gusses zu überzeugen. Doch hier angekommen, überzeugte er sich bald vom Gegentheil, und jetzt erst trat die blutige That seines Jähzorns vor seine Seele. Zur Wohnung zurückgekehrt, erblickte er neben der Leiche seines Lehrlings seine Tochter, die vom Schmerz niedergebeugt bald als zweite Todte zu den Füßen ihres Vaters lag. Darauf kleidete sich der Glockengießer gefaßt und reuevoll sonntäglich an und begab sich auf das Rathhaus, um sich dort dem Gerichte zu überliefern. Sein Urtheil, welches ihm den Tod durchs Schwert zuerkannte, ward ihm sehr bald gesprochen. Er hörte dasselbe ruhig an, doch stellte er die einzige Bitte, auf seinem letzten Lebensgange seine Glocke läuten zu hören. Dieser sein letzter Wunsch ward ihm auch erfüllt und seit dieser Zeit ward die Glocke »Maria« allein nur bei Executionen angeschlagen. Nach einer andern Version der Sage wäre jedoch der Glockenguß erst im 15. Jhdt. geschehen und der Name des Glockengießers Heimroth gewesen.

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S. Grimm, Deutsche Sagen Bd. I. und 126 S. 164.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 162-164.
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