221. Der Kopf des Rathmanns zu Schweidnitz.

[258] (S. Bechstein, deutsches Sagenbuch S. 542. Curieuser Antiquarius S. 102.)


Lange sah man am Rathhause zu Schweidnitz (ob auch jetzt noch?) einen steinernen Kopf als Denkmal einer schrecklichen Strafe. Es war ein bejahrter Rathsmann allda, vom Teufel des Geizes besessen, der hatte eine Dohle, und die richtete er ab, daß sie aus seinem Fenster hinüber durch eine ausgebrochene Glasscheibe in die Rathskämmerei flog und Geld herüber zu ihm trug, welches in dem wohlverwahrten Zimmer zum Oeftern auf dem Tische unverschlossen liegen blieb. Lange nahm man diesen Raub nicht wahr, endlich da fort und fort Geld fehlte, ward der Räuber entdeckt. Hierauf wurde gezeichnetes Geld hingelegt und auch dieses holte nach und nach die Dohle. Damit ward denn der Rathsmann leicht des Raubes überführt und ihm, obwohl er schon bei hohen Jahren war, eine entsetzliche Strafe zuerkannt. Er sollte auf den hohen Kranz des Rathhausthurmes gebracht werden, und von da heruntersteigen, oder auch, so er dies nicht vermöge, droben bleiben und dort verhungern. Mit Angst und Zittern stieg er hinauf und begann das gefährliche Heruntersteigen, das gelang aber nur eine geringe Strecke abwärts, da kam er auf ein steinernes Geländer und konnte nicht weiter, weder vor- noch rückwärts und blieb allda stehen, und hatte nicht Obdach, nicht Trank noch Speise, nagte vor wüthendem Hunger das eigene Fleisch sich ab und stand 10 Tage und 10 Nächte, bis der Tod sich seiner erbarmte, denn die Menschen erbarmten sich seiner nicht. Darauf ward hernach sein steinernes Abbild nebst dem der Dohle auf die Stelle seines Todes gesetzt, aber ein Sturm warf im Jahre 1642 dieses Denkmal unerhörter Grausamkeit vom Thurm hinab, und es blieb nur der Kopf ganz und wurde aufbewahrt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 258.
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