267. Die Gott geweihte Jungfrau zu Löwenberg.

[285] (Nach Sutorius, Gesch. v. Löwenberg [Bunzlau 1789] Bd. II. S. 312 etc. bei Büsching, Volkssagen S. 55, 417 etc.)


Vor Zeiten haben in der Nonnengasse zu Löwenberg die Gott geweihten Jungfrauen des heiligen Ordens St. Francisci ihr Klösterlein gehabt, welches mit stattlichen Einkünften und Gütern begabt gewesen. Als nun die neue Lehre Luthers den Ordenspersonen schmerzliche Verfolgung verursachte, haben[285] die frommen geistlichen Jungfrauen, zu besserer Sicherheit ihres jungfräulichen Standes, ihre Wohnung zu Löwenberg und dabei die Schaffnerin, so inmittelst die Güter des Gestiftes in Acht nehmen und verwalten sollte, mit betrübtem Herzen verlassen. In gedachte geistliche Jungfrau soll sich aber, wegen ihrer Schönheit, des Stadthauptmanns leiblicher Sohn also heftig verliebt haben, daß er eher sterben, als seine Liebste einem Andern gönnen wollte. Dem Vater war aber mehr an den geistlichen Gütern, welche der Sohn durch solche Heirath erlangen und besitzen würde, als an der schönen Gestalt der Jungfrau gelegen, darum brauchte er allen erdenklichen Fleiß, wie durch liebkosende Wohlredenheit die geistliche Jungfrau auf die Meinung seines Sohnes geleitet werden möchte. Aber die reine und Gott geheiligte Jungfrau blieb beständig und wollte nicht ihr jungfräuliches Kleinod der Keuschheit, welches sie ihrem himmlischen Bräutigam gewidmet und aufgeopfert, mit menschlicher Liebe beflecken und vermischen. Da nun weder der irdische Bräutigam, noch dessen Vater das keusche Herz mit glimpflichen und süßen Worten überwältigen konnten, brauchten sie, anstatt der lieblichen Unterredung, erschreckliche Drohworte und brachten die geistliche Jungfrau soweit, daß sie zwar mit dem Munde, aber nicht mit dem reinen Herzen ja gesprochen hat. Wer war freudiger als der von Liebe entflammte Jüngling, und wer geschäftiger, als dessen Vater, welcher meinte, er hätte alldamit den Hirschen in dem Garne und den Hasen mit den Hunden erjagt. Darum machte er auf allen Seiten Anstalt zu einer stattlichen Freudenhochzeit, so nachmals in ein unverhofftes Trauerspiel verändert wurde.

Inmittelst lag die keusche Jungfrau Tag und Nacht in eifrigem inbrünstigem Gebete und seufzte inniglich zu ihrem himmlischen Bräutigam, daß er das Kleinod ihrer Jungfrauschaft vor den Klauen des wüthenden Löwen in Löwenberg bewahren wolle.

Der Tag der angestellten Hochzeit kam herbei; der Bräutigam und die keusche Braut wurden durch vornehme Gäste in die Kirche der Franziskaner, welche unterdessen im Elend das Brod bettelten, mit Freuden begleitet. Beide verlobten Personen stellten sich, nach dem Gebrauch, vor den Altar. Als nun die Trauung fast ihre Endschaft genommen und die Braut ihre Hand in des Bräutigams Hand schließen sollte, sprach die geistliche Jungfrau mit hellen Worten: »in te, Domine, speravi, non confundar in aeternum,« worauf Braut und Bräutigam vor dem Altar in Gegenwart der eingeladenen Hochzeitsgäste erblaßt und entseelt niedergefallen sind.

Man erzählt nun, beide Brautleute seien in einem Sarge in der Klosterkirche zu Löwenberg beerdigt worden und zwar nicht weit von dem Eingange der Kirche, an einer steinernen Säule in einem erhabenen Grabe, auf welchem sich eine sandsteinerne Platte befand, mit folgendem Bilde. Rechts lag ein Frauenzimmer darauf, in langem, faltigem Gewande, oben über dem Kopf mit einem Schleier und enganliegenden langen Aermeln. Die rechte Hand reicht sie einem neben ihr stehenden Ritter, die linke hat sie mit zwei Fingern auf die rechte Brust gelegt, in der Hand einen Rosenkranz haltend. Der Ritter ist in leichtem Harnisch mit bloßem lockigem Haupte. Oben über den Köpfen schwebt ein leichter Helm. Unten an der Seitenfläche des Steins, wo die Füße der abgebildeten Personen[286] stehen, befand sich unter ihr ein Drache, unter ihm ein Löwe. Dieser Stein war noch am Anfange dieses Jahrhunderts bei der Klosteraufhebung vorhanden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 285-287.
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