b) Rübezahl erlöset einen Schuhknecht auß dem Galgen.

[310] Es erzählet mir unlängst ein guter Freund auß Breßlau, daß ein klein Städtlein, etwa zwo Meilen vom Riesen-Gebürge gelegen, sey, daselbsten soll sich ein Schuh-Knecht bei seinem Meister aufgehalten haben, der in Gewohnheit gehabt, gar ofte nach dem Gebürge hin zu spazieren, wenn er mit seiner Gesellschafft einen guten Montag gemacht gehabt. Nachdem er aber ein lustiger Kopf und verwegener Kumpe gewesen, so soll er sein eteriren mit dem Rübezahl nicht haben lassen können, sondern soll ihn ohn unterlaß angefochten, herausgefordert und sonsten verschimpfieret haben. Unter andern Schmähwörtern aber hat er den Berg-Geist stets zu Verhöhnung einen Rüben-Schwantz genannt, sagende: »Schier dich runter, du Rüben-Schwantz, und laß sehen, was du vor Künste kannst.« Mit diesen und andern losen Worten mehr soll der grobe Gesell den Berg-Herrscher vielmahls geäffet haben, welches den der Geist allezeit schmerzlich befunden, und nach seiner alten Manier stets ein Wetter deßwegen erreget hat, dem giftigen Spottvogel auf seinen Kopf zu bezahlen. Aber, weil jener Verleumbder niemahls aufs Gebürge selbsten gekommen, sondern allezeit unten geblieben, da des Rübezahls Gebiete aufgehöret, oder sich kaum so weit hinauß erstrecket, so hat er seinem Wiedersacher wenig abzuhaben vermocht mit solchen erregten Donner-Wetter oder Platz-Regen, doch ist dennoch der erzörnete Berg-Gott auf eine andere Rache außzuüben, oder Hinterlist zu stiften, bedacht gewesen, welche er auch auf folgende Art ins Werck gesetzt, nehmlich, wie der Schuh-Knecht von seinem Meister Abschied nehmen, und von hinnen anderswohin wandern wollen, und hierzu sich allerdings fertig gemacht, auch mit seinem Fell-Eisen, da er hineingesteckt, was nur etwa sein Eigenes gewesen, der Rübezahl aber hat nach dem etlichen Sachen auß des Schusters oder Meisters-Kasten heimlich genommen, nehmlich, einen silbernen Becher, etliche silberne Löffel, sambt nicht wenigen schönen Schaupfennigen und hat solches alles unvermerkt in des Reisefertigen Fell-Eisen gepartieret, damit auch der Schuh-Knecht[310] auf und davongegangen, bis nicht lange hernach, Zweifels ohne auß Eingeben des Rächers, der Schuster seinen Raritäten-Kasten oder Kleinodien-Kiste eröffnet, und einen neuen Schaupfenning zu den vorigen hat thun wollen. Siehe, was der Hencker nicht thut; da wird er in großer Bestürzung gewahr, daß seine herrliche Schätze geraubet gewesen, hält darauf Nachfrage im gantzen Hause, ob er möchte hinter den Thäter gerathen. Wie er seine Hausgenossen aber alle unschuldig befindet, besinnet er sich auf seinen abgeschiedenen Knecht, als wenn der ihme wol dürfte das Schelm-Stück gerissen, und den Dankhab hinter sich verlassen haben. Eilet derhalben hinter ihm daher, und ertappet ihn etwa auf anderthalb Meil Weges vom gedachten Städtgen, packt ihn an, setzt ihn zu Rede, und fraget gar scharf von ihme, ob er nicht ungefehr dieses oder jenes Verlohrnes gesehen, oder ungefehr zu sich gesteckt hätte? Der Schuh-Knecht antwortet gar freudig, er wüßte von solchen bezüchligten Sachen das Geringste nicht, so habe er ihm aufrichtig und nicht schelmisch gedienet, wolle er es nicht glauben, so hätte er sein Ränzel da, denselben wolle er freywillig aufschließen, und alles heraußlangen, was drinnen vorhanden wäre. Hierauf nimmt er die Untersuchung für die Hand, und fänget an, seinen Reise-Sack außzuleeren, und bekommt auch unverhofft des Schusters vermissete Sachen in die Hand, darüber er erschrickt, der Schuster aber lustig wird. Was solte der gute und unschuldige Knecht machen? Er entschuldigte sich aufs Aeusserste, und betheuerte es, daß er gar nichts von diesen ungefehrlichen Diebsstahl wüßte, es müßte diese entfernete Sachen ihm ein anderer auß Rachgier heimlich beigebracht und mit eingeschoben haben, sonsten könnte ers mit Gott betheuern, daß er von solcher Entwendung nichts gewußt habe. Aber der Schuster kriegt ihn bey der Kartause, schleppt ihn fürs Gerichte, und lässet ihn vollends nach Hause führen, da er eingesteckt, und endlich zum Tode des Galgens verdammet wird, da er dennoch aber immer standhaftig, nach seinem guten Gewissen, darbey verbleibet, daß er unschuldig zu diesem Falle komme, gedenkende, daß er zwar gerne sterben wolle, weil er es vielleicht sonsten an dem lieben Gotte möchte verschuldet haben, daß er diesen Gang gehen müßte, aber dieser Diebstahl brächte ihn mit Recht nicht dazu. Was geschieht? Wie jetzt der letzte Tag anbricht, da er soll gerichtet werden, da kommt Rübezahl zu ihm ins Gefängnüß, doch in unerkannter Gestalt, und fraget ihn, was er hie mache? Jener antwortete: »Was soll ich leider machen? Hier wollen sie mich heute ohn Henkers Dank hencken, weil ich soll was gestohlen haben, da ich doch kein Dieb gewesen bin.« Drauf der Rübezahl antwortet: »Siehe, mein Kerl, diesen Schimpf habe ich dir gemacht, weil du mich ofte mit deiner unnützen Schnauze angetastet, und ohn Ursache droben Rüben-Schwantz angeschrien hast, doch will ich dich hierumb nicht gäntzlich verderben lassen, sondern nach erlittenen Incarcerirung gleich jetzt erlösen.« Drauf hat er ihme die Ketten und Bande abgemacht, und sich selbsten hineingeschlossen. Weiter hat er den Schuh-Knecht auch unsichtig gemacht, und auß der Haft herausgebracht, auf freyen Fuß gestellet, daß es kein Mensch inne geworden. Noch weiter soll er auch dem Schuh-Knecht befohlen haben, daß er umb eine Weile nach geschehener Execution, in der Stadt rumbgehen, und sich öffentlich zeigen soll, weil er nunmehr sicher, und außerhalb aller Gefahr lebete. Und indeme kommt ein Pfaffe ins Gefängnüß[311] zu dem armen verstellten Sünder, nehmlich dem Rübezahl, hält an, er soll fleißig behten, sein letztes Stündlein sey nunmehr vorhanden, ja er müßte itzund zu guter Letzt hier alle seine Sünden bekennen, und beichten, drauf wolle er ihm das Abendmahl reichen. Des Rübezahls seine Gegenred aber war immer gewesen diese: »Päperle päp.« Und so soll er etliche tausendmahl gesagt haben, wenn ihme der Pfaffe anmuthen wollen, daß er müsse Busse thun, und andächtig behten. Wie nun aber hierauß nichts anders hat werden wollen, als lauter Päperle päp, so sollen die Gerichte dennoch umb reife Zeit den päperlepäpischen Rübezahl zum Thor hinauß geführet, und an den liechten Galgen gehenkt haben, darzu er dennoch immer sein gewöhnliches und schnackhaftiges Päperle päp gesagt, biß der Diebs-Hencker von der Leiter wieder herunter gewesen, da sie alle mit einander eine große Schütte Stroh am Galgen gesehen und behalten haben. Hierüber soll das Städtlein biß auf den heutigen Tag seine Gerechtigkeit oder Gericht verlohren haben.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 310-312.
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