v) Rübezahl schwängert eine Obristin.

[320] Im abgewichenen dreyßigjährigen Deutschen Kriege soll es geschehen seyn, daß eine Obristin in einer Kutsche über das Riesen-Gebirge gefahren samt andern Mitgefehrten. Es soll ihr aber unterwegens nothgethan haben, allein von der Kutsche herunter zu steigen, und hinter einem benachbarten Busche, Salva Venia zu melden, ihren Behuff zu thun, mittlerweile denn die Kutsche immer algemächlich ein wenig fürder gefahren ist. Was geschieht? Wie jene Frau vermeinet allein zu seyn, da war ihr plötzlich ein statlicher Cavallier übern Hals gekommen, hatte sie freundlich angeredet, und genöthiget, mit zu spazieren in seinen Pallast. Drauf die Frau sich stets entschuldigt, und ihre Reise vorgewandt gehabt, daß sie nehmlich ihre Leute nicht möchte verlassen, die Zeit versäumen, oder sie in Bekümmerniß stecken. Aber wie dem allem? Es hatte die Frau sich mögen entschuldigen, soviel sie vermocht, es hatte doch der Rübezahlische Cavallier sein complimentösisches Anhalten und Ersuchen nicht angeben wollen, sondern sie endlich schier gezwungen, mit zu wandern. Drauf ihr die verlassene Kutsche auß dem Gesichte gerathen, darzu denn auch ihr Schreien und Ruffen nichts geholffen, und sie also nicht überhin gekunt, sich los zu machen, sondern hatte nothwendig in des erschienenen Cavalliers Beliebung einwilligen müssen. War derentwegen mit ihm gegangen, und hatte, nach einem kurzen Wege, ein herrliches Schloß angetroffen, das so prächtig und künstlich war gebauet gewesen, daß sie ihr Lebtage kein besseres gesehen. Es hatte sie gedeucht, wie allenthalben lauter Edelgesteine versetzt wären. In dem herrlichen Gemache, da sie war introducirt worden, da war es alles magnific erschienen. Es waren die raresten Tractamenten auf der Tafel gestanden, so hatte es auch an Pagen und Dienern nicht gefehlet, die sie aufs Schönste accommodiret hatten. Weiter waren auch flugs zugegen gewesen die lieblichsten Musiken[320] von den ergetzlichsten Instrumenten, und was sonsten zu Fürstlichen Banquetten möchte gewünscht werden. In diesem präsentirten Gemach hatte sich die Obristin müssen niederlassen, und zwar bey der angerichteten Taffel an die vornehmste Stelle, darzu sich denn in Eil andere köstliche Herren gesellet, sie charisiret, und mit den anmuthigsten Gesprächen, nebenst den schmackhaftigsten Speisen, ergetzet, biß drüber der Abend und folgends die Nacht eingebrochen, da der erste Plagiarius oder räuberische Rübezahl in vorigangenommener Cavalliers-Gestalt zu ihr getreten, sie genöthiget zu Bette zu gehen, und die Nacht über in seinem Schloß zu ruhen. Was hatte die gute Obristin drauß wollen machen? Wie sie vorher über Macht und Willen gegessen, also hatte sie itzund auch sich müssen in die Schlaf-Kammer führen lassen, da sie die prächtigsten Betten und ein auß der Massen fast Königliches Nachtlager angetroffen, in welches sie sich geleget, und die gantze Nacht über wunderliche Grillen gemacht hat, weil sie auß großer Bestürtzung nicht gewust, wie ihr geschehen, wo sie wäre, und wo ihre Leute logireten. Hierauf war zur Mitternacht der caballierische Rübezahl für ihr Bette gekommen, hatte seine Dienste präsentiret, und sie theils bittlich, theils zwingend, dahin bemächtiget, daß sie in seinen ehebrecherischen Willen sich hatte müssen ergeben. Es soll ihr aber darbey alles sehr kalt vorgekommen seyn, wie sie selber es nicht in Bedenken genommen hat, hernach über einer Tafel solches zu erzehlen bey Anwesenheit vieler hoher Officirer. Wie endlich die Nacht schier vergangen, und es in die Morgendämmerung gerathen, da soll der Cavallier abermahl zu ihr gekommen seyn, sie genöthigt haben, aufzustehen, sich anzuziehen, und nach ihren Leuten sich verschaffen zu lassen. Hierauf war sie in eine kostbare Kutsche gesetzt worden, und hatte sich der ausgemundirte Rübezahl zu ihr gesetzt, und hatten neben her viel Trabanten gehabt, und waren also in weniger Frist durch dergleichen Kutscherey an einen Ort gekommen, da der Rübezahl hatte lassen stille halten, sie aufs Schönste heißen außtreten, welches denn, wie es geschehen, sie flugs zu ihren Leuten versetzt hatte, indem ihre Kutsche hart dabey gestanden, die vorige aber war in einem Huy mit allem Plunder verschwunden, drauf sie zu den Ihrigen gegangen, ihre Verführung referiret, und sich treflich hungrig befunden hatte, also, daß die Leute in selbigem Losament ihr bald was zu essen hatten müssen anrichten, nach welchem Losament sich solche verlohrne Kutsche hingemacht gehabt, wie die Obristin verlohren gewesen, und die Bedienten sie noch immer hin und wieder auf dem Gebirge gesucht hatten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 320-321.
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