313. Das besessene Mädchen zu Löwenberg.

[369] (S. Tob. Seiler, Daemonomania. Ueberaus schreckliche Historie von einem 12jährigen Jungfräulein zu Löwenberg in Schlesien, welche der vermaledeite Schandteufel 1605 von Lichtmeß bis auf Himmelfahrt aus Gottes Verhängniß leibhaftig besessen. Zu Wittenberg erstlich gedruckt 1605, jetzt mit einer Vorrede von L. Val. Alberti vers. Halle 1674 in 12.)


In der Stadt Löwenberg in Schlesien ist im Jahre 1605 ein zwölfjähriges Jungfräulein, Magdalena genannt, nach tödtlichem Abfall ihrer Eltern, deren Vater Georgius Lieder von Siebenaich, im Bober ertrunken, ihre Mutter aber plötzlich todt gefunden worden, von ihrem Vormunde in eine Graupenmühle auf der Fischergasse, wo sie einen Erbfall zu fordern hatte, ihren Freunden zur Alimentirung übergeben worden, wo sie denn, wenn sie die Anzahl ihres Spinnwerks nicht völlig verrichtet, oft schrecklich bis aufs Blut mit über dem Kopfe zusammengebundenen Kleidern gestrichen, zu ganzen Nächten allein in ein finsteres Loch verschlossen, schrecklich verflucht und aufs Tyrannischste soll traktirt worden sein, darob sie in eine große Furcht, Zittern und Kleinmüthigkeit gerathen. Dieses Jungfräulein ist aber ohngefähr um Lichtmesse leibhaftig vom Satan besessen worden und haben sich wunderbare Dinge mit ihr zugetragen.

Erstlich ist am Sonntag vor Mariä Lichtmesse unter der hohen Meßpredigt, als alles andere Volk in der Kirche gewesen, ein schwarzer Vogel durch die aufgespaltene Stubenthür zu ihr in die Stube gekommen, ist ihr anfänglich an den Hals, darnach unter den Arm geflogen und verschwunden, darauf sie vor Furcht und Entsetzen in Ohnmacht darniedergefallen. Darauf ist etliche Tage ein großes Brechen und unerhörtes Schlucken gefolgt gleich dem Schreien der Mühlräder, welches man über viele Häuser gehört.

Fürs Andere hat der Teufel sie bisweilen wie einen Globus oder Kegelkugel zusammengewickelt, daß sie das Haupt bei den Knieen gehabt, kein Glied geregt und sie also wunderbarlicher Weise in die Höhe umhergeworfen, bisweilen hat er sie auf die Zehen gestellt und plötzlich überrücks auf den Kopf und das Angesicht gestürzt, also daß der Rücken in der Form eines Bogens hohl verblieben. Bald hat er sie auf den Rücken gestellt, daß sie Arme und Beine, wie zusammengeflochtene Weiden oft eine halbe, oft eine ganze Stunde in die Höhe gehalten, welche kein Mensch von einander reißen mögen. Bald hat er ihr die Augen so groß wie Hühnereier vor den Kopf getrieben, bald hat er sie ausgedehnt bis an die Decke, bald ist sie mit dem[369] Kopfe an die Stubenthür gelaufen um sich umzubringen, bald hat sie große Stücke mit den Zähnen aus der Wand gebissen, oft hat sie schrecklich wie eine Kuh gemurrt, oft so laut und höhnisch eine ganze Stunde ohne Aufhören gelacht, daß man es über viele Häuser gehört, und, wann sie ein wenig Ruhe gehabt, berichtet, das Lachen wäre ihr zu lassen unmöglich.

Fürs Dritte, als der Pastor Seiler das erste Mal zu dem Jungfräulein gefordert ward, hat sie der Satan hoch emporgeworfen, auf die Zehen und Kopf überrücks in einen Bogen gestellt, wieder aufgesetzt, ihr die Arme wie Weiden umgedreht, das Angesicht bald nach der rechten, bald nach der linken Seite auf den Rücken gewendet, den Kopf hin- und hergeschlagen und ihr die Zunge, schwarz wie eine Kohle, eine Spanne lang aus dem Munde hervorgestreckt. Als man aber herzlich zu Jesus Christus um Errettung gebeten, hat sich der Teufel aus ihrem Leibe hören lassen, bald wie ein Haufen junger Katzen, bald wie junge Hunde, die sich unter einander beißen, bald hat er wie ein Hahn gekrähet, bald auf mancherlei Manier große und kleine Stimmen durcheinander als eine wunderbare Hasenjagd hören lassen, und solches allezeit durch offenen Mund, alles ohne Bewegung der Lippen und Zunge.

Wenn sich nun der Satan genug zu erkennen gegeben, ist er durch viele wunderschöne biblische Hauptsprüche bedrohet worden, darauf hat er erstlich ein Haar von ihrem Haupte, darnach den Nagel von der rechten Zehe begehrt, es ist aber ihm nichts erlaubt worden. Er hat nun begehrt zu fahren in eine alte Sau, in eine faule Weide, in einen Strohhalm, in ein Gerstenkorn etc., er ist aber in die Hölle verwiesen und dazu heftig verspottet worden. Als er nun gefragt ward, wer ihn dahin gesandt habe, hat er geantwortet: »der Geizteufel. Warum? Es sei ihr geflucht worden. Wie er in sie gekommen? Sie habe ihn in Mückengestalt eingetrunken. Wie er heiße? Der Schwarze. Was er allda verrichten solle? Den Leib quälen. Was sein vornehmstes Amt sei? Er sei ein Geizteufel. Ob er denn dem Mägdlein nicht ein Haar verletzen könne? Nein. Warum er nicht ausfahre? Der droben wolle noch nicht.« Wenn man aber herzlich um Erlösung zu Jesu Christo geschrieen, so ist ihr der Satan bald schwarz wie eine Kohle auf der Zunge, bald in den Ohren gesessen und hat dieselben gehemmt, bald hat er sie schlafend, bald heiser gemacht, daß sie plötzlich kein Wort reden können, bald schrecklich zu Boden gestürzt, sobald aber das Gebet ausgewesen und man von biblischen oder weltlichen Historien geredet, hat sich alsbald alle Stummheit und Heiserkeit verloren, und hat der Satan von Juda, von Pilato, Herode, Fausto, Scoto, welche er seine besten Freunde und nächsten Räthe genannt, und von viel wunderbaren Fällen Bericht gethan, mit Anmeldung, er sei auch dabei gewesen.

Nachdem er nun aber mit Krähen, Jagen, Lästern allerlei Possen getrieben, das Mägdlein hin- und hergeschüttelt, auch in Gegenwart des Arztes sie so hoch empor in die Höhe geführt und an eine Haspe gestoßen, daß ihr das Blut über den Kopf geronnen und alles anwesende Volk auf die Knie gefallen, so hat ihr der Teufel auf der Zunge, da sie den Mund offen gehalten, wie ein schwarz Mäuslein oder Laubfröschlein bei einer Viertelstunde umhergetanzt, ist ihr oft bis an die Lippen gekommen und zuletzt wieder hinunter in den Leib gesprungen, welches viele ehrbare Bürger mit ihren[370] Augen gesehen. Hierauf hat er ihr den Mund weit aufgesperrt, ohne alle Bewegung der Zunge bei einer halben Stunde hell und laut herausgeschrieen und sonderlich wegen der Calvinisten viele schreckliche Dinge ausgestoßen. Als auch ohngefähr ein Crucifix zu Händen gewesen, welches ihr gewiesen worden, hat der Teufel schrecklich wie ein Bär oder Löwe durch sie dawider gewüthet, gebrüllt, die Zunge wie einen Brand herausgesteckt, die Augen verdreht, und es angespieen, den linken Schächer aber seinen Freund genannt. Denkwürdig aber ist dabei gewesen, daß, wenn ihr der Satan auf der Zunge oder in den Ohren gesessen hat und sie selbst dahin hat greifen wollen, hat er sie in die Finger gebissen, daß sie elendiglich geschrieen, welche wunderbare Löchlein Viele mit Verwunderung angesehen haben.

Als nun ein Schwarzkünstler sie besucht, hat er durch seine Chiromantie herausgebracht, daß ihr eine Nachbarin den Teufel in den Leib gezaubert habe, die Prediger ihn aber nicht austreiben könnten. Darüber hat sie der Satan noch viel mehr gepeinigt, hat sie mit großer Gewalt hin- und hergerissen, daß sie von vielen Personen kaum hat gehalten werden können. Dann hat sie sich selbst jämmerlich geschlagen, gebissen, gekrümmt, und plötzlich auch ein Schürztuch ergriffen, daraus schnell einen Strang gedreht, kunstreich ein Ohr davon gemacht, sich ihn um den Hals gelegt und so fest zugezogen, daß sie beinahe erstickt wäre.

Vom 19. März ab ist nun der Pastor Seiler fast täglich zu der Jungfrau hingegangen, allein der Satan hat allemal schon vorher angekündigt, daß er kommen werde, er hat auch mit dem Pastor einen Discurs in einer diesem unbekannten Sprache angefangen und auf Befragen, was dies für eine Sprache sei, gesagt, es sei Indianisch. Als nun aber das Mädchen in alle Sonntags- und Wochenpredigten in die Kirche geführt worden, hat der Satan darin furchtbar gewirthschaftet, den Prediger angebellt, die Leute angespieen und namentlich die schwangeren Frauen turbirt. Am 24. März aber hat der Satan sie in der neuen Herberge vor den Augen vieler Adeligen und Bürger wie eine Glocke hoch hin- und hergeschwenkt, in Gestalt eines großen Mannes Feuer gegen sie ausgespieen und sich zur Nacht in Gestalt einer großen Hummel, so nur ein einziges großes hellfunkelndes Auge im Kopfe und zwei Beine gehabt, in der Stube sehen lassen, ist um das Licht herumgeschwärmt, hat sich dann auf den Tisch gesetzt und die vier anwesenden Wächter so erschreckt, daß einer davon am andern Tage todtsterbenskrank geworden ist. Am 28. März in der Kirche hat der Satan aus dem Mädchen, ohne daß diese die Zunge und den Mund bewegte, überlaut geschrieen, das Crucifix angespieen und mit den ehrenrührigsten Schandnamen belegt, dann aber sich auf einmal umgewendet und »Diebe, Diebe« geschrieen, weil gerade ein Schalk unter dem Volke einem Fischkrämer einen Beutel mit 9 Thalern aus der Tasche zog.

Es hat aber der Pastor Seiler und nachmals der Krankenwärter mit dem Teufel drei denkwürdige Gespräche geführt (welche ganz genau in der Schrift Seilers abgedruckt sind), dann aber hat ihr der Satan mehrere Male in der Gestalt eines schwarzen Mannes heftig zugesetzt, sie solle sich mit einem Messer, welches er ihr dazu hinhielt, den Hals abschneiden, auch einmal Polnisch mit einem gerade anwesenden Polen gesprochen und endlich den 30. März einen solchen Höllenlärm mit Heulen, Sausen und Brausen,[371] Donner und Blitzen in ihrem Hause gemacht, daß es bei der Abholung Fausti nicht schlimmer kann zugegangen sein. Er hat sie dann noch fast alle Tage von Lichtmesse bis auf Himmelfahrt greulich geplagt, namentlich ihr noch den letzten Tag alle Gedärme im Leibe aufs Abscheulichste hin- und hergeworfen. Am 14. Mai aber ist der Pastor Seiler, als der Teufel wieder aufs Tollste tumultuirt hat, zu der Jungfrau gerufen worden, hat erst aufs Herzlichste zu Gott gebetet, den Satan auszutreiben, und dann mit Singen und unter Instrumentalbegleitung eine liebliche Musik veranstaltet und da hat der Satan in großem Grimm gefragt: »Wann soll ich denn ausfahren?« Der Pastor aber geantwortet: »Im Namen Jesu Christi mache daß Du fortkommst!« Und da ist er dann auch ausgefahren, denn das Mädchen hat sodann öffentlich bekannt, daß das Laubfröschlein, welches zuvor ohne Unterlaß in ihrem Leibe bald das eine, bald das andere Glied durchfahren, seit dieser Stunde von ihr nicht wieder gespürt worden sei, und hat auch sonst der Jungfrau von dem Tage an es weder an Verstand noch Gesundheit im Geringsten nicht gemangelt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 369-372.
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