452. Die Jungfrau am Waschstein bei Stubbenkammer.

[479] (Poetisch behandelt von Freyberg, Pommersche Sagen S. 25 etc., darnach Temme S. 248 etc.)


Dicht am Ende der Kreidewand von Groß-Stubbenkammer auf Rügen erhebt sich der sogenannte Waschstein, ein großer Granitblock, etwa hundert Schritt vom Ufer aus der See hervorragend. Hier soll nach der Erzählung der dortigen Fischer alle 7 Jahr ein Meerweibchen hinaufsteigen und sich auf ihm waschen77. Unter demselben soll sich aber auch eine tiefe Höhle befinden, wo einst der berüchtigte Seeräuber Störtebecker seine überall zusammengeraubten Schätze verbarg. Nun erzählt dort das Volk, es sei in[479] dieser Höhle bis auf den heutigen Tag nicht geheuer, um Mitternacht steige aus ihr eine trauernde Jungfrau, ein weißes Tuch in der Hand haltend, hervor und suche in dem Wasser die in dem Tuche befindlichen Blutflecken herauszuwaschen. Da ihr dies aber nicht gelinge, so verschwinde sie allemal wieder mit trauriger Miene. Man sagt nun, sie sei ein vornehmes Fräulein aus Riga gewesen, welche Störtebecker ihrem Bräutigam vom Traualtar weg entführt und hier nach der Höhle am Waschstein geschleppt habe, wo er sie bei seinen Schätzen eingeschlossen habe. Da er nun aber im Jahre 1402 sammt seinen Spießgesellen von den Hamburgern gefangen genommen und hingerichtet ward, mußte die Jungfrau, von der Niemand wußte, elendiglich in der Höhle umkommen und dort sitzt sie noch als ruheloser Geist bei den Schätzen und bewacht sie. Eines Nachts sah sie ein Fischer, als sie das Tuch im Meere auswusch. Er faßte sich ein Herz und redete sie an und sprach: »Gott helf Dir schöne Jungfrau, was thust Du hier?« Da trat sie zu ihm hin und hieß ihn ihr folgen, sie wolle sein Glück machen, weil er »Gott helf« zu ihr gesprochen. Sie führte ihn nun in eine große Höhle, die er zuvor nie gesehen hatte, wo große Haufen Silber- und Goldstücke und kostbare Juwelen lagen. Auf einmal vernahm er auf dem Meere Ruderschlag, ein großes schwarzes Schiff rauschte heran und aus demselben stiegen viele hundert Männer in alter Tracht, jeder seinen Kopf unter dem Arm. Sie traten einer nach dem andern in die Höhle und fingen an in den Schätzen zu wühlen und die Geldstücke zu zählen. Nachdem sie dies eine Zeit lang gethan, verschwanden sie wieder in derselben schauerlichen Weise, wie sie gekommen waren. Es waren die zu ewigem Umherwandeln verdammten Geister Störtebeckers und seiner Kameraden. Als sie alle hinaus waren, da füllte die Jungfrau dem Fischer einen großen Krug mit Goldstücken und Kleinodien, geleitete ihn wieder zu seinem im Meere liegenden Boote und verschwand dann wieder unter dem Waschstein, aber Niemand hat sie je wiedergesehen.

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S. Grümbke, Darst. v. Rügen Bd. I. S. 42.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 479-480.
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