463. Swantewit und Arkona.

[488] (S. Saxo Gramm. XIV. p. 821 etc. Kantzow, Pomerania Th. I. S. 161-166. 170-173. Barthold, Gesch. v. Rügen Bd. I. S. 554 etc. Micrälius Th. I. S. 163, Th. II. S. 302. v. Schwarz, Pommersche Städtegeschichte S. 627. 653. 666 etc.)


Auf der nördlichsten Spitze der Insel Rügen befand sich vor uralten Zeiten die Hauptstadt des Landes, die Stadt Arkona, auf einem steilen Berge, unmittelbar am Meere gelegen. In derselben befand sich auch der Tempel[488] und das Bild des Hauptgötzen der Rügianer, Swantewit. Derselbe stand mitten in der Stadt, war sehr zierlich gebaut, von Außen reich angemalt und mit schönem Schnitzwerk verziert. Er hatte nur einen Eingang, aber eine doppelte Halle, von denen die eine die andere einschloß. In der innern stand hinter einem Vorhange das Bild des Götzen von ungeheurer Größe und übermenschlichen Verhältnissen. Es hatte vier Köpfe, zwei vorn nach der Brust, die andern rückwärts gerichtet, alle mit Bärten, die aber zerzaust aussahen. In der Hand hielt der Gott ein mit verschiedenen Metallen ausgelegtes Horn für den Meth, der linke Arm war bogenförmig in die Seite gestemmt, sein Gewand reichte bis auf die Schienbeine und seine Füße standen auf einem tief in die Erde hineingesunkenen Fußgestell. Neben ihm hingen sein Sattel, Saum und Schwert, letzteres von Silber und wunderschöner Arbeit. Ringsherum an den Teppichen, die zwischen vier Säulen aufgehangen die Wände bildeten, hingen kostbare Trinkhörner, welche ebenso wie andere goldene und silberne Geräthschaften dem Gott als Geschenke gegeben worden waren. Dieser Gott ward als der der Fruchtbarkeit angesehen und jedes Jahr nach der Ernte ward ihm hier eine Art Opfer und damit zusammenhängender Schmaus veranstaltet. Nachdem nämlich der Oberpriester, der gegen die Sitte des Landes, Haare und Bart ungeschoren trug, das innere Heiligthum, welches er allein betreten durfte, mit Besen gereinigt, wobei er sich aber zu hüten hatte Athem zu holen, sondern allemal, wenn dies nöthig war, zur Thüre hinausgehen mußte, so besah er am Tage des Festes zuerst das Horn. War dieses noch mit dem im vorigen Jahre hineingeschütteten Meth gefüllt, so bedeutete es ein fruchtbares Jahr, hatte aber derselbe abgenommen, so drohte dem Lande Theuerung. Nachdem der Priester dies dem Volke kund gethan, goß er den Meth dem Gotte vor die Füße, füllte frischen in das Horn und bot es demselben zum Trinken an. Da derselbe aber natürlich den Mund nicht öffnen konnte, so trank er es mit einem Zuge aus, füllte es aufs Neue und gab es dem Gotte für das künftige Jahr in die Hand. Dann stellte er sich hinter einen ungeheuren Honigkuchen, der so groß war, daß er sich bequem hinter demselben verstecken konnte, verrichtete dann hinter ihm sein Gebet, daß dieser Kuchen das nächste Mal noch größer sein möchte und nahm dann die für den Götzen bestimmten Opfergaben in Empfang. Hierauf entließ er die Versammlung mit einer ermahnenden Rede und dann wurde der Tag mit fröhlichem Gelage beschlossen. Sonst bekam der Götze von einem jeden Haupte der Einwohner jährlich einen silbernen Groschen und den Zehnten von allen Gütern. Von diesem Einkommen wurden ihm 300 Pferde gehalten und Alles, was man damit erwarb, und vom Feinde raubte, ward in seine Schatzkammer niedergelegt. Sonst hielten sie ihm auch ein großes weißes Pferd (gerade wie die Stettiner dem Triglaff ein schwarzes), auf welchem Niemand als der Hohepriester reiten durfte. Er allein mußte es auch warten und füttern. Die Rügianer glaubten nun, weil es oftmals mit Schweiß und Staub bedeckt war, als ob es einen weiten Weg gelaufen sei, daß Swantewit auf demselben ihre Feinde verfolge. Mit diesem Pferde verrichtete man auch Weissagungen. Wenn sie nämlich in den Krieg ziehen wollten, so ward das Pferd ins Freie geführt, betrat es mit dem rechten Fuße einen gewissen bezeichneten Ort, war es ein gutes Zeichen, es bedeutete aber das Gegentheil, wenn es den[489] linken darauf setzte. Oder man legte Speere in der Quere auf die Erde, darüber ward das Pferd dreimal hinweggeführt, schritt es jedesmal mit dem rechten Fuße zuerst vor und berührte die Stangen nicht, so bedeutete es Sieg, berührte es sie aber oder schritt mit dem linken Fuße vor, Niederlage.

Im Jahre 1168 ist aber der Tempel und das Bild Swantewits zu Arkona zerstört worden, nachdem es gerade 330 Jahre hier gestanden hatte. Es hatten nämlich damals die Rügianer die Dänische Oberherrschaft abzuschütteln versucht und der Dänenkönig Waldemar I. rückte mit großer Heeresmacht vor die Stadt. Dieselbe war jedoch fast uneinnehmbar, denn von drei Seiten ward sie durch das hohe felsige Ufer geschützt und auf der vierten, der Landseite, hatte sie einen sehr hohen und steilen Wall mit einem einzigen hohen und festen Thurme. Da nun die Belagerer schon bei dem hartnäckigen Widerstande der Stadt an der Eroberung derselben zu zweifeln begannen, prophezeite auf einmal ein gemeiner Soldat, die Feste werde am Tage des h. Vitus zur Strafe ihrer Abgötterei fallen, weil sie vor mehreren hundert Jahren den h. Vitus verstoßen und statt seiner den Götzen Swantewit angenommen hatten. Ob nun wohl Niemand an diese Prophezeiung glaubte, so ging sie doch in Erfüllung. Es hatte nämlich ein vorwitziger Dänischer Soldat bemerkt, daß sich in der Verschanzung des Thores durch Abgleiten von Erdschollen eine Vertiefung gebildet hatte, worin sich ein Mensch verbergen konnte. Er stieg nun vermittelst einiger Speere, die er stufenweise in den Wall einstieß, in die Vertiefung hinauf und machte in derselben aus Spielerei Feuer an. Dieses ergriff aber den über das Thor herausgebauten Thurm und nahm bald so überhand, daß es die Einwohner, denen es obenein an Wasser gebrach, da sie nur einen einzigen Brunnen hatten und thörichter Weise das Feuer durch Kuhmilch zu löschen suchten, es aber dadurch nur noch schlimmer machten, nicht löschen konnten, sie waren also genöthigt, die Stadt dem Dänenkönig zu übergeben. Am Tage nach der Einnahme der Stadt gingen aber die mit der Zerstörung des Götzenbildes beauftragten Männer, Esbertus, ein Bruder des Bischofs Absalon, und ein gewisser Sund, nachdem sie die Teppiche von der Halle herabgerissen hatten, mit Aexten dem Bilde zu Leibe, hieben erst seine Beine durch und stürzten es rücklings um, bei welcher Gelegenheit der Teufel in Gestalt eines scheußlichen Thieres aus dem Bilde herausfuhr und mit schrecklichem Gestank durch die Fenster des Tempels entschwand, schleppten es dann an Stricken ins Dänische Lager, wo es in kleine Stücke zerhackt ward, damit die Krieger ihre Speisen mit seinem Holze kochen sollten, und verbrannten dann den Tempel. Die Rügianer nahmen aber, da sie sahen, wie sich ihr Gott nicht hatte helfen können, bereitwillig das Christenthum an. Nachher ist aber die ganze Stadt Arkona ins Meer versunken, auf dessen Grunde sie noch ruht, und wenn es nebliches Wetter ist, dann steigt sie zuweilen aus dem Wasser herauf und man kann sie dann mit ihren Häusern, Thürmen und Wällen als eine Art Luftspiegelung wafeln (s. oben S. 412) sehen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 488-490.
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