475. Die alte Burg bei Löbnitz.

[503] (Nach Arndt Bd. II. S. 321 etc. [II. A.])


Nahe bei Löbnitz über grünen Wiesen, durch die sich das Flüßchen Barth hinschlängelt, grünt ein kleiner Eichenwald, mit seinem durchrinnenden Bächlein und den schönsten und dichtesten Haselbüschen, welche sich fast jeden Herbst unter dem braunen Schmuck ihrer Früchte beugen. An der Südseite des Wäldchens liegt eine Ziegelei und am nördlichen Ende erhebt sich eine Burghöhe, deren Umwallung rings eine mit dichten Dornbüschen und Unkraut überwachsene Senkung umgiebt und worin sich die Füchse ihre Baue gegraben haben. Diesen alten Burgtrümmern gegenüber erhob jenseits am rechten Ufer des Flusses, unweit Wobbelkow, ein stattliches Hünengrab sein grün bemoostes Haupt, von dessen Gipfel man die Stadt Barth mit ihren rothen Dächern und in der Landschaft umher ein halbes Dutzend Kirchdörfer übersehen kann. Dieses Eichwäldchen wird nach den Trümmern jener Burg jetzt noch »zur alten Burg« genannt und man erzählt, daß wenn junge Mädchen sich verleiten lassen im Sommer in diesen lieblichen Busch zu gehen, um dort Nüsse zu pflücken, sie spurlos verschwinden und erst vielleicht zehn Jahre später plötzlich wieder zum Vorschein kommen, ohne daß man eigentlich erfährt, wo sie so lange gewesen sind. Gewöhnlich soll ihnen ein Matrose in bunter rothgestreifter Jacke am Saume des Waldes, einen Blumenstrauß in der Hand, in den Weg kommen und sie verleiten, ihm in den Busch zu[503] folgen. Dann aber bekommt sie Niemand wieder zu sehen. Man erzählt sich nun hierüber folgende Sage.

Vor langen Jahren hat auf der Insel Rügen ein Edelmann aus dem jetzt ausgestorbenen Geschlechte der Eigen die Güter Löbnitz, Divitz und Wobbelkow besessen und bei Löbnitz ein prächtiges Burgschloß gehabt, wo man manche Nacht durchschwärmt und bankettirt hat. Gegenüber aber auf dem hohen Hünengrabe an dem andern Ufer, dort am Wege zwischen Redebaß und Wobbelkow, hat er auch noch ein zweites Lustschloß gehabt und von hier aus hat er mit einem Fernrohr die Landstraßen überschauen können, und wo er gesehen hat, daß ein Wagen oder eine Kutsche dahergefahren gekommen ist, da hat er seine Leute hingeschickt, die haben über dieselbe müssen herfallen und sie ausrauben, sind aber schöne Mädchen oder Frauen darin gewesen, die hat er auf die Burg im Walde schleppen lassen und dort hat er mit ihnen seine böse Lust gebüßt. Dies hat er so lange getrieben, bis der siebenjährige Krieg gekommen ist, da haben die Moskowiter seine Güter verbrannt und ihm Alles genommen und er hat blos noch die Burg behalten und hier hat er sich verstecken und knapp leben müssen wie andere Leute. Endlich hat aber der Blitz in dieselbe geschlagen und er ist in ihr mit allen seinen Leuten jämmerlich umgekommen. Dicht an dem Gemäuer der Burg steht aber eine uralte Eiche, von der der Blitz auch die eine Hälfte abgespellt hat. An diese Eiche bringt man kein Pferd, weil es hier nicht geheuer ist, denn wenn im ganzen Walde kein Vögelchen schwirrt oder zirpt, hier schreien Spatzen und Zeisige und Meisen den ganzen Tag und flattern mit solchem Lärmen herum, daß man sein eigen Wort nicht verstehen kann, in der Nacht aber wirthschaften hier die Eulen, Krähen und Raben so laut, daß jedem Vorübergehenden die Haare zu Berge steigen. Dann kommen auch die Füchse aus ihren Löchern und heulen mit und die Schlangen ringeln sich in unendlicher Zahl aus dem Bache hieran. Auf einer abgestorbenen Buche horstet aber ganz in der Nähe der Burg ein schwarzer Storch, der einzige seiner Art in der ganzen Gegend, der Hauptmann des ganzen Vogelgesindels auf der Eiche. Er hat auf den Wiesen ein dreimal größeres Jagdrevier als irgend einer der bunten Störche, deren es so viele auf den Barthwiesen giebt, allein keiner von diesen kommt in sein Gebiet, ja sie fliegen davon, als wenn sie den Teufel sähen, wenn sie ihn nur von fern erblicken. Des Nachmittags sieht man ihn immer zwischen der Burg und dem Hünengrabe hin- und herfliegen und das Volk glaubt, daß er der alte Edelmann selbst ist oder sein Sohn, den er mit einer Mohrin, die er dem Sultan im Mohrenlande abgekauft hatte, gezeugt haben soll. In seiner Nähe sieht man nun sehr oft einen Jägerburschen oder Matrosen in einer bunten Jacke, wenn nun eine hübsche Dirne hier im Walde Blumen pflücken oder Nüsse auflesen will, macht er sich stets freundlich an sie heran, reicht ihr Blumensträußchen und erbietet sich, ihr im Walde eine Stelle zu zeigen, wo die schönsten Blumen blühen und die braunsten Nüsse hängen. Da lockt er sie dann auf den Burgwall und ruft, sie solle hierher kommen und sich einmal die schöne Aussicht anschauen. Da oben liegt aber ein kleiner rother runder Stein wie zu einem Sitz zurecht gemacht mit einem immer grünen Plätzchen ringsherum, da hat er Blumen und Nüsse hingestreut und er heißt sie sich setzen und sich des Blickes über die weite Landschaft[504] freuen, aber siehe! wie sie herantreten und den Stein berühren, thut sich das grüne Plätzchen auf und Buntjack und Jungfer und Nüsse und Blumen, Alles sinkt tief hinab in die Erde in die unterirdischen Säle, die noch weit unter den Fuchsbauen unter dem Burgwall sich hinziehen und wo die Geister des alten Edelmanns und seiner Gesellen ihr Wesen treiben, und die armen versunkenen Dirnen kommen nimmer wieder, oder es kommen auch wohl nach Jahren einige wieder ans Licht und unter die Menschen, aber sie schämen sich zu sagen, wo sie so lange gewesen sind und was ihnen widerfahren ist. Die Jungen aber, die in der Nacht auf den Wiesen die Pferde hüten, erzählen viel von dem Eulen- und Krähengeschrei, aber zuweilen haben sie auch ein Wimmern und Winseln wie tief aus der Erde gehört, und dann haben sie den schwarzen Storch gesehen sich in der Luft über dem Walde mit den Flügeln wiegend und klatschend, als sei ihm dies eine Freude.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 503-505.
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