573. Das fromme Pferd zu Tilsit.

[560] (S. Hennenberger S. 463.)


In Tilsit war ein Bürger lange Jahre nicht zu Gottes Tische gegangen, lebte so wie es die Welt zu thun pflegt, wollte aber gleichwohl einmal gegen die Kirchenordnung Gevatter stehen. Solches wollte ihm der Kirchendiener nicht zugeben, es wäre denn, daß er zuvor das Sacrament des Altars genösse. Deshalb drohte der Bösewicht dem Kirchendiener, er wolle ihn in Stücken hauen, die Hunde sollten sein Blut lecken, wie er denn früher schon einige Morde auf sich geladen hatte. Nun wußte er, daß der Kirchendiener alle Sonntage Amts halber verreisen mußte. Deshalb wartete er an einer gefährlichen Stelle auf ihn, wo auf der einen Seite ein Sumpf mit Erlenbüschen, auf der andern aber Ackerland war. Als er nun von dort den Prediger überfallen wollte, will das Pferd nicht vom Flecke, er sticht es mit seinen Sporen, schlägt es so viel er kann, das Pferd aber geht nicht von seinem Platze und will eher mit ihm ins Gebüsch springen, als bis der Kirchendiener einen andern Seitenweg eingeschlagen hatte. Von dem Augenblick an[560] aber ließ sich das Pferd wieder fortbringen. Er aber sprach zu ihm: »Was zum Teufel bist du so scheu?« Hier wäre es dem armen Prediger sehr schlecht gegangen, hätte er nicht als seine ganze Wehr ein kleines Evangelienbüchlein in seinem Stiefel stecken gehabt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 560-561.
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