574. Die Seejungfern im Tilsiter Schloßteich.

[561] (Nach Langkusch in d. Unterhalt. d. Literar. Kränzchens in Königsberg 1866 Nr. 14 S. 78.)


Vor langen Jahren soll Tilsit ganz anders ausgesehen haben wie jetzt; namentlich hatte es nicht so schöne Häuser als heut zu Tage. Da trug es sich zu, daß ein Bauerssohn aus der Umgegend zum Soldaten ausgehoben und zum Trommler bestimmt ward. Um sich ungestört zu üben, ging er gewöhnlich hinter einen Busch am Schloßteich. Eines Abends im Hochsommer ging er auch nach seiner Gewohnheit dorthin und sah plötzlich, als er zufällig durch die Gebüsche blickte, drei schöne Mädchen an dieser sonst stets einsamen Stelle baden. Gleichzeitig sah er auch am Ufer ihre Kleider, bestehend aus grünen Gewändern und Schleiern von gleicher Farbe liegen. Er dachte gleich, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen, sprang also auf die Sachen zu, raffte sie zusammen und ging damit ab. Kaum hatten dies die Mädchen gesehen, als sie, die Schönste voran, dem Ufer zuschwammen und flehentlich um Rückgabe ihres Eigenthums baten. Als aber der Soldat davon nichts hören wollte, suchten sie zu handeln und ihn dahin zu bestimmen, daß er ihnen wenigstens die Schleier zurückgeben möge, die andern Kleider könne er behalten. Nun wußte der Schlaue aber, daß diese gerade für die Mädchen den meisten Werth haben müßten, und um sich der Sache zu vergewissern, packte er dieselben in ein Paquet und that als wolle er dasselbe ins Wasser werfen. Als dies die Mädchen sahen, erhoben sie schon ein Freudengeschrei, er aber steckte ganz ruhig das Paquet in seinen Busen. Da wurden die Mädchen ärgerlich, bespritzten ihn mit Wasser und als er ausreißen wollte, hingen sie sich an ihn und umklammerten ihn mit ihren schönen weißen Armen. Jetzt wurde ihm selbst bange, er sprach also: »Laßt mich los und tretet etwas zurück!« Als sie dies thaten, nahm er erst den einen Schleier, hielt ihn in die Höhe und fragte, wem er gehöre. Als nun die eine sich als Besitzerin meldete, reichte er ihn ihr hin und verfuhr ebenso mit dem zweiten, den dritten aber, der der Schönsten gehörte, behielt er und lieferte ihn seiner Eigenthümerin trotz alles Bittens und Flehens nicht aus. So sprangen denn die beiden andern schnell ins Wasser und tauchten augenblicklich wieder als zwei große weiße Fische auf die Oberfläche des Wassers auf. Zu der dritten aber, von der er natürlich jetzt wußte, daß es eine Wassernixe war, sagte er: »Folge mir nach Hause, Du mußt meine Frau werden!« Es half nichts, sie mußte in ihrem grünen Kleide, aber ohne Schleier, in das Haus seiner Eltern folgen, die über die Braut, welche sich ihr Sohn ausgesucht hatte, nicht wenig erstaunt waren. Er ließ ihr hier Bauernkleider anziehen, verschloß die grünen Gewänder in eine feste Kiste und ging dann wieder in seinen Dienst. Von diesem Augenblick an aber gedieh seinen Eltern Alles wie nie vorher, die Felder gaben den dreifachen Ertrag, die Kühe milchten wie nie zuvor, und im Hause machte sich die Arbeit von selbst, so daß das väterliche Gut sehr bald das beste im ganzen Dorfe ward. Der Soldat selbst nahm seinen Abschied und die Hochzeit ward bald mit großem Gepränge vollzogen.[561] So freundlich aber die junge Frau auch gegen Jedermann war, das Schwatzen war nicht ihre Sache, sie saß ganze Nachmittage, wenn sie ihre Arbeit gemacht hatte, einsam im Garten und sang mit wunderlieblicher Stimme Lieder, deren Sprache Niemand verstand, oder sie stand ernsten Blickes am Ufer des Schloßteichs und schaute traurigen Blickes in dessen klaren Spiegel. Nach Verlauf eines Jahres gebar sie ein Kind, und während der Wohlstand der Familie von Tage zu Tage zunahm, wuchs in den folgenden Jahren auch die Zahl der Früchte ihrer Zärtlichkeit, welche sie ihrem Manne schenkte, allein auch ihr Aeußeres, ihre blasse Farbe, und ihr trauriges, verschlossenes, obwohl stets freundliches Wesen blieb sich gleich. Da trug es sich zu, daß der junge Ehemann, der seine schöne Frau wie seinen Augapfel hütete, verreisen mußte. Er übergab seiner Mutter den Schlüssel zu der Kiste, in welche er die Kleider und den Schleier seiner Frau verschlossen hatte und machte es ihr zur heiligen Pflicht, weder irgend Jemandem die Kiste zu öffnen, noch auch selbst einen Blick hineinzuthun. Die junge Frau hatte bald Kenntniß davon bekommen, that also alles Mögliche, was sie ihrer Schwiegermutter nur an den Augen absehen konnte, und da sie auch sonst sich bei derselben sehr beliebt gemacht hatte, so rückte sie endlich mit der, wie es schien, unbedeutenden Bitte heraus, dieselbe möge ihr doch nur noch einmal erlauben sich mit ihren alten Kleidern zu schmücken. Zwar erinnerte sich diese des strengen Befehles ihres Sohnes, allein sie glaubte, es könne ja doch nicht viel auf sich haben, wenn sie ihrer Schwiegertochter diesen kleinen Wunsch gewähre, schloß auf und packte die Sachen aus. Hastig und unter lauten Freudenrufen kleidete sich die junge Frau an, warf den Schleier über, ein blendendes Licht durchflog das Zimmer, so daß die alte Frau die Augen schließen mußte, und als sie sie wieder öffnete, war ihre Schwiegertochter verschwunden. Thränen und Wehklagen erfüllten nun das Haus, der rückkehrende Sohn war untröstlich, die alte Mutter siechte vor Kummer dahin, nur die Kinder trockneten bald ihre Thränen, vergaßen ihre schöne Mutter und spielten wie früher mit einander im Garten. Am liebsten verweilten sie jedoch in der Nähe des Schloßteiches und bald fingen sie an, in einer Allen unbekannten Sprache seelenvolle Lieder zu singen. Den Leuten war es freilich ein Räthsel, wo die Kinder ihre Kenntnisse her hatten, allein ihr Vater wußte recht gut, daß ihre Mutter heimlich ihre Hand über ihre Lieblinge halten werde. Er hat sich nie wieder verheirathet und starb in hoher Achtung bei seinen Nachbarn und großem Wohlstande hochbejahrt, aber heiter ist er seit dem Verlust seiner Gattin niemals wieder gewesen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 561-562.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band