588. Gehängte Diebe bitten einen Edelmann, der sie eingeladen, wieder zu Gaste.

[569] (S. Hennenberger S. 254.)


Es war einmal zu Leunenburg ein sehr geschickter Dieb, der jedes Pferd zu stehlen wußte, so vorsichtig auch sein Besitzer sein mochte. Nun hatte dort ein Dorfpfarrer ein schönes Pferd, das hatte er an den Fischer zu Angerburg verkauft, aber noch nicht abgeliefert. Da wettete der Dieb, dies wolle er noch stehlen und dann aufhören, der Pfarrer aber erfuhr es und ließ es so gut verwahren und verschließen, daß Niemand dazu konnte. Als aber der Pfarrer mit dem Pferde in die Stadt ritt, kam der Dieb auch in Bettlerkleidern, an zwei Krücken in die Herberge und bettelte da. Als er nun merkte, daß der Pfarrer schier aufbrechen wollte, machte er sich zuvor hinaus aufs Feld, warf die Krücken auf einen Baum, legte sich darunter und wartete auf den Pfarrer. Dieser kömmt auch nachher hier, wohl bezecht, vorüber, findet den Mann da liegen und sagt: »Bruder, auf, auf, es kömmt die Nacht, mache daß Du zu Leuten kömmst, es möchten Dich die Wölfe[569] zerreißen!« Der Dieb aber antwortete: »Ach lieber Herr, es waren eben ein Paar böse Buben hier, die haben mir meine Krücken da auf den Baum geworfen, nun muß ich hier verderben und sterben, denn ohne Krücken kann ich nirgends hin!« Der Pfarrer aber erbarmte sich seiner, sprang vom Pferde, gab dem Schalk solches mit dem Zügel zu halten, zog seinen polnischen Reitrock aus, legte ihn aufs Pferd und stieg auf den Baum um die Krücken herunterzuholen. Indeß springt jener auf das Pferd, zieht des Pfarrers Rock an und läßt ihn zu Fuße nach Hause gehen. Dies kommt vor den Pfleger, er bekömmt den Dieb in seine Gewalt und läßt ihn an den Galgen hängen. Nun wußte aber Jeder von dessen List und Behendigkeit zu erzählen. So ritten denn einstmals an einem Abend etliche Edelleute, die wohl bezecht waren, an dem Galgen vorüber, unterhielten sich von seiner Behendigkeit und lachten untereinander. Unter ihnen war aber einer, ein versoffener, wüster und spöttischer Mensch, der sagte: »O Du behender und kluger Dieb, Du mußt ja viel wissen, komme auf den Donnerstag mit Deinen Gesellen zu mir zu Gaste und lehre mich auch Deine Listen.« Da lachten die Andern auch und redeten den ganzen Weg über von seiner Behendigkeit. Am Donnerstag, als der Edelmann die Nacht über tüchtig gezecht hatte, lag er lange schlafend im Bette, da kommen die Diebe Glocke neun des Morgens in den Hof mit ihren Ketten, gehen zu der Hausfrau, grüßen sie und sagen, wie sie der Junker zu Gaste gebeten, sie solle ihn aufwecken. Sie erschrickt aber gar sehr darüber, geht zu dem Junker vor sein Bett und sagt: »Ach, ich habe Euch längst gesagt, Ihr würdet mit Euerem Saufen und spöttischen Reden Schande einlegen, stehet auf und empfanget Euere Gäste!« und dabei erzählt sie ihm, was sie in der Stube gesagt hätten. Er erschrickt, steht auf, heißt sie willkommen und fordert sie auf, sie sollten sich setzen, läßt Essen auftragen, so viel er in der Eile vermag, und dies verschwindet auch alles. Unterdessen sagt der Edelmann zu dem gerichteten Pferdediebe: »Lieber, es ist über Deine Behendigkeit viel gelacht worden, obwohl es mir jetzund nicht mehr lächerlich ist, doch wundert es mich, wie Du so behend gewesen bist, da Du doch ein so grober Mensch zu sein scheinst?« Der antwortet ihm: »Der Satan, wenn er sieht, daß ein Mensch Gottes Wort verläßt, kann er einen leichtlich behend machen, sintemal die Wahrheit ist, daß die Kinder der Welt witziger sind in ihren Geschäften als die Kinder des Lichts.« Der Edelmann fragt dann noch andere Dinge mehr, darauf jener auch antwortet, bis die Mahlzeit beendigt war. Da standen sie alle auf, dankten ihm für seinen guten Willen und sprachen weiter: »So bitten wir Euch auch aus dem heimlichen Gerichte Gottes an das Holz, da wir um unserer Missethat willen von der Welt getödtet worden sind, und da sollt Ihr mit uns aufnehmen das Gericht zeitlicher Schmach, und dies soll sein heute über vier Wochen!« und damit schieden sie von ihm. Darüber erschrak er sehr, ward sehr betrübt und sagte es vielen Leuten, der eine sagte dies, der andere aber das dazu. Er tröstete sich aber darüber, daß er Niemandem etwas genommen, und daß solcher Tag auf aller Heiligen Tag fiel, an welchem um des Festes willen man nicht zu richten pflegt. Doch blieb er zu Hause, lud stets Gäste zu sich, ob etwas geschehe, daß er ein Zeugniß hätte. Nun war aber damals große Räuberei im Lande, sonderlich die Reiter Greger Maternens, des Feindes der Stadt Danzig (um 1495), von welchen einer den Hauskomthur,[570] Bruder Eberhard von Empten erstochen hatte. Deshalb bekam der Komthur Befehl, wo solche Reiter oder seine Gesellen zu finden wären, da solle man sie fangen und richten ohne alle Umstände. Nun ward der Mörder ausgekundschaftet und der Komthur eilte ihm mit den Seinigen nach und weil jenes Edelmannes letzter Tag da war und noch dazu Allerheiligentag, dachte er, er sei nun frei. Er wollte sich also einmal gegen Abend nach dem langen Sitzen etwas erlustiren, ritt in das Feld hinaus, indeß wird seiner des Komthurs Volk gewahr, es däucht sie, es sei des Mörders Pferd und Kleid, sie reiten also flugs auf ihn zu, er stellt sich zur Wehre und ersticht einen jungen Edelmann, des Komthurs Freund. Deshalb wird er gefangen genommen, sie tragen ihn nach Leunenburg, geben einem Litthauer Geld und dieser hängt ihn zu seinen Gästen an den Galgen, und es hilft ihm nichts, daß er sagte, er käme aus dem heimlichen Gericht Gottes, sondern mußte hören: »Fort mit ihm, ehe Andere kommen und sich seiner annehmen, denn er will sich nur ausreden!« und so kam er richtig an dem bestimmten Tage um.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 569-571.
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