614. Der Wirth in Jerusalem.

[587] (S. Löschin, Beitr. z. Gesch. Danzigs Th. III. S. 64. Karl Th. II. S. 3.)


Etwa 200 Schritte vor dem Olivaer Thore stand ehemals ein Häuschen, Jerusalem genannt, in welchem jedem Verbrecher, der hier vorbei zum Galgen geführt ward, der letzte Labetrunk gereicht zu werden pflegte.

Hier hat sonst ein Wirth, Namens Jerusalem, von welchem das Haus und der Berg den Namen bekommen, ein Gasthaus gehalten, das ziemlich viel besucht ward. Allein er war ein geiziger Bösewicht, der seine Gäste nicht blos, wo er konnte, prellte und ihnen verfälschte Getränke vorsetzte, sondern auch, wenn es anging, manchen Fremden, der bei ihm nächtigte, wenn er merkte, daß derselbe in der Gegend nicht bekannt war und ein gut[587] gespicktes Felleisen bei sich hatte, erschlug und in seinem Garten vergrub. Er hatte einen einzigen Sohn, der schon seit längerer Zeit im Auslande war und als Kaufmann manch schönes Stück Geld zurückgelegt hatte. Da er lange nicht zu Hause gewesen war und keine Ahnung von dem schlecht erworbenen Wohlstande seines Vaters hatte, denn als er von Hause weggekommen war, waren seine Eltern in schlechten Verhältnissen gewesen, so beschloß er, nachdem er genug für sie alle zu haben glaubte, nach Danzig zurückzukehren. Er that dies auch und kehrte als Fremder im Hause seines Vaters ein, gab sich auch nicht zu erkennen, weil es seine Absicht war, am andern Morgen denselben mit seiner Ankunft im Bette zu überraschen, allein zu seinem Verderben, denn der Schändliche, welchen der mit Gold gefüllte Beutel, den der Sohn Abends beim Bezahlen der Zeche herausbrachte, verführte, schlich sich um Mitternacht an das Bett des sorglos Schlummernden und tödtete denselben mit einem Schlage einer schweren Keule an dessen Schläfe. Als er am nächsten Morgen den Leichnam desselben verscharren wollte und ihm seine Kleider auszog, gewahrte er am Halse des Ermordeten ein Muttermaal, welches ihn an das erinnerte, welches, wie er wußte, sein fern geglaubter Sohn trug. Stutzig gemacht, öffnete er die Brieftasche, welche er auf der Brust trug, und erkannte sofort aus den darin befindlichen Papieren, daß er seinen eigenen Sohn aus Habsucht erschlagen habe. Verzweiflungsvoll ging er selbst nach Danzig ins Gericht und gab sich als den Urheber dieser und vieler anderer unbekannt gebliebenen Mordthaten an. Er büßte seine Verbrechen mit dem Rade.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 587-588.
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