676. Der unfruchtbare Eichwald.

[622] (S. Hennenberger S. 214.)


Bei Kreuzburg liegt ein Dorf Krücken, welches erst Pokarweis genannt ward. Hinter demselben befindet sich aber ein Eichwald, dessen Bäume niemals Früchte trugen. Als Ursache wird folgende Begebenheit erzählt.

Zur Ordenszeit hieß das Dorf Vitke und den Namen Krücken bekam es von einem Verräther, welcher nach Bettler Weise auf Krücken dorthin zu den Ordensbrüdern kam und Alles besichtigte. Als nun im Jahre 1249 unter dem Hochmeister Conrad Landgraf und unter dem Landmeister Heinrich Wida die von Elbing und Balga in Natangen einfielen, Alles wegbrannten und raubten, da hatten ihnen die Preußen beim Heimziehen die Wege überall verlegt und trieben auch das Ordensvolk wieder hinter sich in dieses Dorf, wo sie jener Verräther auskundschaftete, wie viele ihrer waren und wo sie lagen. Nun durfte noch keine Parthei die andere angreifen, doch unterhandelten die Ordensbrüder endlich mit den Preußen, daß, wo sie Heinrich Bözel den Marschall mit andern mehreren als Geißel geben würden, die andern ihr Leben behalten sollten. Nur Bruder Johann von Sinnerberg, Hauskomthur von Balga widerrieth es und sagte, sie sollten auf Gott vertrauen und sich wehren, die Andern aber wollten nicht und lieferten sich und ihre Waffen aus. Allein die Preußen hielten ihr Wort nicht und erwürgten 54 Brüder und alle Christen, so mit ihnen waren. Dem Bruder Johann hieben sie den Kopf ab, steckten denselben auf einen Spieß und ritten damit vor[622] Balga, indem sie riefen: »Hätten die Brüder Deinen Rath befolgt, sie wären wohl davon gekommen und hätten auch noch manchen Mann erschlagen!« Die Preußen schnitten auch einem frommen Bruder den Nabel aus, nagelten ihn an einen Eichbaum und trieben ihn mit Martern und Schlägen so lange umher, bis er sich alle Gedärme ausgewunden hatte, hinstürzte und starb. Solches geschah am letzten November am St. Andreastag. Dieser Eichwald, der damals unmittelbar hinter der Kirche stand, hat fortan keine Früchte mehr getragen und endlich hat ihn zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts Herr Bernt von Krücken deshalb abschlagen lassen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 622-623.
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