680. Von einem himmlischen Sendboten und seiner Betrügerei.

[625] (S. Hennenberger S. 480.)


Nach dem großen Kriege waren in Preußen viele Buben, so der Arbeit entwöhnt waren, gleichwohl aber viel verzehren wollten, derohalben sie sich auf Täuschung begaben. Ein solcher war auch einer, der wußte in einer Stadt ein gar simples Weib, so doch sehr reich war und zuvor einen Mann, Namens Stolle gehabt, der sie sehr wohl gehalten hatte. Nun hatte sie aber einen Schulmeister genommen, der sie nicht sehr fetirte, weshalb sie täglich um Mittag auf den Kirchhof ging zu ihres vorigen Mannes Grabe, betend, er wolle ihr doch bei Gott einen Trost erwerben, denn dieser Mann, den sie doch aus einem armen Bacchanten (fahrenden Schüler) zu einem reichen Junker gemacht, halte sie nicht sehr wohl. Diese Rede hatte dieser Schalk oftmals gehört und wußte auch der guten Frauen Weise, zog also einen weißen Kittel an und ging an die Seite der Kirche, wo die Frau kniete, und seufzte herzlich. Die Frau sprach zu ihm: »Mein Brüderlein, warum seufzet Ihr so heftig und sehet so erbärmlich gen Himmel?« Er sagte: »Ach soll ich denn nicht seufzen und traurig sein, daß ich jetzund eine kleine Zeit des fröhlichen Angesichtes Gottes entbehren und in diesem Jammerthale sein muß. Doch liebe Frau sagt mir, wo ist hier Erdmuthe Stollin, denn ihr lieber Mann hat Gott vermocht, daß durch mich ihr angezeigt werden soll, wie ihr Begehr ist erhöret worden und sie soll in Kurzem erfreuet werden.« Wer war froher als sie, sie sagte: »Du seliger himmlischer Bote, ich bin selbst Frau Erdmuthe, wie geht es doch meinem lieben Manne?« Er sagt, wie ihr Mann bei Gott wäre und erlangt hätte, daß sie kürzlich zu ihm in die ewige Freude kommen solle. Sie fragt, was er vor hätte. Jener spricht: »Er genießt die Heiligen, die er allhier geehrt hat, die bitten ihn zu Gaste, so spielt er gemeiniglich den Tag über mit St. Peter im Bretspiel, aber er schämt sich seiner Armuth sehr, denn er hat nicht mehr als seinen Todtenkittel, darin er begraben worden ist«, und nun machte dieser Betrüger viele Worte seiner Armuth wegen. Da sprach sie: »Daß mein Mann ein solches Leben führt, glaube ich so wohl, als ob ich es selber sähe, denn das war sein Thun auch auf dieser Welt. Des Morgens, wenn er aufstand, ging er in die Kirche und ehrte etliche Heilige, und so war auch St. Peter sein[625] Apostel, den Tag aber brachte er zu mit Bretspiel. Nun ob er wohl todt ist, so ist und bleibt er doch mein lieber Mann, ich will ihn nicht lassen!« Sie führt ihn also mit sich zu Hause, giebt ihm 80 rheinische Gulden, Ringe, silberne Becher, eine Marderschaube und die besten Hemden, die solle er ihrem Manne bringen und wo er weiter etwas von Nöthen haben werde, er solle nur zu ihr schicken, sie wolle ihn nicht lassen. Dem Boten schenkt sie eine Mark, wollte ihm auch zu essen und zu trinken geben, er aber sagte, er habe nicht Zeit, denn der Himmel werde auf den Abend bald geschlossen und so er draußen bliebe, müsse er befürchten, daß ihm die Teufel nähmen, was er hätte, und damit zog er von dannen. Wie jener nun kaum vor das Thor ist, da kömmt auch ihr Mann zu Hause geritten, sie heißt ihn willkommen und sagt ihm alles von dem himmlischen Boten und wie es ihrem Manne ergehe. Er aber merkt bald das Latein und sagt: »Ich muß doch dem Boten nachreiten und Euerem Stolle eine gute Nacht sagen lassen!« Er ereilte ihn auch, wollte ihn binden, aber der Schalk war ihm zu stark, schlug ihn lahm, nahm das Pferd und ritt mit den Kleinodien davon. Da kam ein Bauer, fand ihn und führte ihn nach Hause und wie seine Erdmuthe wissen wollte, wovon er so lahm geworden sei, da sagte er ihr, er habe ihrem Stolle das Pferd geschickt um mit den Heiligen zu Zeiten spazieren zu reiten, da habe er einen heftigen Streit eines bösen Geistes mit einem Menschen gesehen, da wäre er sehr erschrocken und davon sei es ihm ins Bein gekommen. Mit der Zeit kam die Sache aber an den Tag und Jedermann lachte darüber und es ward ein Sprichwort: »Wie Einer hier lebt, also lebt er auch dort, das weiß Frau Erdmuthe.«

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 625-626.
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