702. Der Pilberg.

[637] (S. Reusch a.a.O. S. 64 etc.)


Die reizende Schlucht zwischen Kraam und Plinken wird die Hölle genannt, aus ihr erheben sich der große und der kleine Pilberg. Auch auf dem Gipfel des erstern soll früher ein jetzt versunkenes Schloß gestanden haben. Früher zeigte sich hier in der Mittagszeit von 11 bis 12 Uhr eine schöne Frau, die ihr Haar strählte. Sie bat die Hirten oft, sie anzufassen und versicherte sie, es werde ihnen kein Leid geschehen, nur müsse man sie[637] recht fest halten und ja nicht loslassen. Einst hat ein dreißigjähriger junger Mann dies wirklich versucht, er faßte sie bei der Hand, da kam ihm mancherlei Blendwerk vor, bald war es ihm, als wollten ihn Hunde beißen, bald als wollten ihn Pferde niedertreten. Da rief er in der Angst: »Herr Gott, Herr Jesus!« Gleich war sie von seiner Hand los, weinte und klagte sehr, daß sie nun auf ewig verloren sei, verschwand und ward nie mehr gesehen.

Wenn ein Haselbusch Wispen (Misteln98) trägt wie die Birken, Kirschen und Linden, so ist dies ein Beweis, daß hier ein Schatz verborgen liegt. Vor ohngefähr zwanzig Jahren stand ein solcher Haselstrauch in der Hölle mit einer solchen Wispe, die Beeren hatte so groß wie eine kleine welsche Nuß und klar und glänzend wie Silber. Zwei Instleute aus Kraam gingen nun eines Sonntags zwischen 11 und 12 Uhr, so recht während der Kirchzeit, um den Schatz zu graben. Sie hoben den Haselstrauch und durchwühlten die Erde. Da kam ihnen zuerst ein Hase, der lahm war oder nur drei Füße hatte, in die Quere gelaufen, sie waren aber ganz still und gruben weiter. Dann aber kam ein schwarzer Hund – das soll der Wächter des Schatzes gewesen sein – mit nachschleppender Kette auf sie zu. »Ui!« schrie einer der erschrockenen Instleute und sogleich waren Hund und Schatz fort, letztern, hatten sie schon mit dem Spaten gefühlt. Die Dorfjungen warfen nun den Haselstrauch wieder in sein Loch und das nächste Jahr war er wieder ausgegrünt und trug wieder die silbernen Beeren. Dieselben Instleute gingen wieder hin, aber sie mußten jetzt eine Mannslänge tiefer graben als früher, hoben aber den Schatz wirklich. Wie viel Gold sie gefunden haben, haben sie sich wohl zu sagen gehütet, auch weiß man nicht, wohin sie es gethan haben, denn sie waren arm und blieben arm, im folgenden Jahre aber starben sie beide um dieselbe Zeit, da sie den Schatz gehoben hatten. Seit dieser Zeit hat sich nichts mehr gefunden, ob man wohl, um etwas zu finden, die herrlichen Eichen alle gründlich unterminirt hat.

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Diese Schmarotzerpflanze mit lederartigen, glatten und immergrünen Blättern wie sie die Weide trägt gestaltet, wächst aus dem Stamme anderer Bäume 1-3 Fuß hoch heraus und trägt weiße halbdurchsichtige Beeren von der Größe einer Erbse.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 637-638.
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