724. Das eingesetzte Hasenherz.

[655] (S. Bergenroth a.a.O. S. 118.)


Einst lebte ein ungeheuer reicher und tapferer Edelmann an dem Ufer der Weichsel. Wenn derselbe viele Gefangene auf seinen Siegeszügen gemacht hatte, so gebrauchte er sie zur schwersten Arbeit, zum Bau einer Veste, die er auf einer Insel der Weichsel errichten ließ. Nun befand sich aber unter diesen Gefangenen ein alter Jäger, dessen Frau sich auf Hexenkünste verstand. Da ihr Mann in Folge der harten Arbeit und der geringen Kost gestorben war, so beschloß die Hexe sich an dem Edelmanne zu rächen. Sie fing einen Hasen, dem sie das Herz ausweidete, dann ging sie damit in das Schloß des Zwingherrn, als derselbe noch im tiefen Schlafe lag. Es gelang ihr, sich zu ihm zu schleichen, ihm die Seite vermittelst eines Hexenmessers zu öffnen, ihm das Herz herauszunehmen und ihm dagegen das Hasenherz einzusetzen. Als der Edelmann erwachte, fühlte er seine ganze Natur verändert. Er zitterte vor Angst, das Gesumme einer Fliege versetzte ihn in Schrecken und das Gehämmer der Bauleute stürzte ihn in einen Fieberzustand. Seine Unterthanen, die er fortan fürchtete, hatten Mitleid mit ihm, allein seine Nachbarn, denen seine Tapferkeit vormals furchtbar gewesen war, rotteten sich zusammen, um ihn zu Paaren zu treiben. Da versuchte der sonst so eisenfeste Mann zur Vertheidigung seines Schlosses die Rüstung anzulegen, allein er wurde durch ihre Wucht niedergedrückt. Er hätte sich in ein Mauseloch verkriechen mögen, allein seine Kampfgenossen setzten ihn mit Gewalt zu Roß, damit er gegen die Feinde vorreiten solle. Er that es weinend und zähneklappernd. Beim ersten Angriff der Feinde sprang er gleich einem von Windhunden verfolgten Hasen davon in das innerste Gemach seines festen Schlosses. Bald vernahm er jedoch Siegesrufe und schmetternde Trompeten, denn seine Unterthanen hatten die Angreifer alle zusammengehauen.[655] Einer von seinen Leuten kam, um ihm den Sieg zu verkünden, da wagte er es an die Fensterbrüstung zu treten und auf die Haufen der erschlagenen Feinde zu blicken. Es traf sich aber, daß in demselben Augenblicke eine Schwalbe vor dem offenen Fenster vorbeistrich und mit ihrem Flügel die Schläfe des hasenherzigen Edelmanns berührte. Plötzlich fiel dieser mit einem Angstschrei zu Boden und war todt. Noch jetzt vermeiden die polnischen Herrschaften auf dem Lande alte Weiber in ihre Dienste zu nehmen, sie könnten wohl gar auch ihren Söhnen Hasenherzen einsetzen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 655-656.
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