729. Schloß Bentschen.

[658] (S. San Marte S. 154 etc.)


Der Herr des Schlosses Bentschen (Zbąszyń) hatte in seiner Jugend nicht das beste Leben geführt, mit der Zeit aber, wo sich die Leidenschaften abgekühlt hatten, kam er zu Verstande, bereute seine Ausschweifungen und verbrachte seine ganze Zeit mit Andachtsübungen. Indeß suchte er seine frühern Vergehen durch Almosenspenden wieder gut zu machen und benutzte seinen vieljährigen Diener zum Vermittler seiner wohlthätigen Spenden. Freilich war sein Sohn, ein verdorbener junger Mann, mit dieser Sinnesänderung seines Vaters nicht sonderlich zufrieden und erklärte dieselbe für bloße Heuchelei. Nach einiger Zeit raubte eine plötzliche und ungewöhnliche Schwäche dem Greise zuerst die Sprache und kurz darauf auch das Leben[658] und nachdem die Leiche zu Grabe getragen worden war, beschied der neue Erbe den alten Diener vor sich und befahl ihm, ihn in die Schatzkammer zu führen. »Hat denn hier mein Vater sein Vermögen niedergelegt?« fragte er, in sein Gewölbe geführt, indem er einen großen mit Eisen beschlagenen Kasten sah, welchen er eifrig öffnete, worin er aber zu seiner großen Ueberraschung nur Andachtsbücher und ein härenes Bußgewand fand. »Wo sind die Schätze meines Vaters?« fragte wild der Jüngling, und nachdem er diese nicht fand: »wo sind die Bescheinigungen über die verschwendeten Einkünfte?« – »Mein Herr«, entgegnete der Diener, »hat seine Einkünfte unter die Unglücklichen vertheilt und von diesen keine Quittungen verlangt.« – »Du Taugenichts, Du mußt sie beschaffen, und kommst nicht eher von der Stelle, als bis ich dieselben werde erhalten haben!« Indem der neue Gebieter so sprach, verschloß er hinter sich die eiserne Thür, und ließ den alten Diener einsam in dem Gewölbe sitzen. Wildes Gelächter der Theilnehmer an den Ausschweifungen des Jünglings durchtönte das Schloß. Zwei Tage hindurch blieb der unglückliche Diener ohne Speise und Trank in seinem Gefängnisse, (während sein neuer Gebieter mit seiner ausschweifenden Gesellschaft der Schwelgerei fröhnte. Am dritten Tage beim Abendessen fiel es einem stark Berauschten jener Gesellschaft ein, spottweise die Gesundheit des Gefangenen auszubringen, indem er sagte: »Möge der Alte ihn pflegen und ihn befreien, wenn er es vermag!« In diesem Augenblicke öffneten sich die schweren eisenbeschlagenen Thüren, die zu dem unterirdischen Schatzgewölbe führten, und in den Saal tritt zu den Versammelten, in ein weißes Gewand gekleidet und den treuen Diener an der Hand führend, der verstorbene Vater. »Wohl, so ist es«, sprach er mit einer Grabesstimme, »ich habe ihn gepflegt und aus dem Gefängnisse geführt, und jetzt bezeuge ich hier seine Unschuld!« Mit diesen Worten verschwand er und sein Sohn fiel wie vom Donner gerührt zu Boden. Er ging aber von diesem Augenblicke an in sich und sein nachheriger Lebenswandel legte Zeugniß ab, daß die Mahnung seines Vaters nicht vergeblich gewesen war.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 658-659.
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