767. Die letzte Kaisernische und der letzte Krönungsbeutel.

[684] Im Römer, dem Frankfurter Rathhaus, ist ein großer alterthümlicher Saal, der sogenannte Kaisersaal, an dessen hohen Fenstern sich der neugekrönte Kaiser dem auf dem Römerberge versammelten Volke in seiner Kaiserpracht zeigte und in dem dann die Majestäten speisten, bedient von Fürsten und Reichsgrafen. An den langen Seitenwänden dieses Saales sind Nischen, in Spitzbögen oben zulaufend angebracht. Dieselben sind schon seit Jahrhunderten zur Aufnahme der deutschen Kaiserbilder benutzt worden, in der neuesten Zeit aber wurden sie entfernt und sind durch Gemälde, welche die[684] deutschen Kaiser von den Karolingern an bis auf Franz II. vorstellen, ersetzt worden. Als diese Nischen im 15. Jhdt. gebaut wurden, dachte man nicht daran, daß hier die Bilder der deutschen Kaiser aufgestellt werden sollten – Frankfurt, schon längst die deutsche Kaiserwahlstadt, ward im Jahre 1562 auch die deutsche Kaiserkrönungsstadt, was bisher Aachen gewesen war – oder wenigstens nicht, ob es mehr deutsche Kaiser oder mehr Nischen geben werde. Sonderbarer Weise ist die letzte Nische mit dem Bilde des letzten deutschen Kaisers, Franz II., voll geworden und obgleich die Deutschen im Jahre 1849 einen neuen Kaiser gewählt haben, so hat derselbe doch die Krone nicht angenommen und keine neue Nische ist nöthig gewesen. In Frankfurt aber geht die Sage, daß bei der Verkündigung dieser letzten Wahl, wo alle Glocken in diesem feierlichen Augenblick geläutet wurden, die große Karolusglocke auf dem Pfarrthurme, die zu Ehren Karls des Großen also heißt, einen gewaltigen Sprung bekam und daß in der Mondscheinnacht die Kaiser im Römersaal aus ihren Nischen hervorgetreten seien und in einer gespenstigen Rathssitzung beschlossen hätten, keinen neuen Kaiser mehr einzulassen, und so ist denn Deutschland kaiserlos geblieben seitdem bis auf den heutigen Tag.

Bekanntlich ward sonst bei jeder Kaiserkrönung ein Beutel voll goldner und silberner Krönungsmünzen unter das Volk geworfen, als nun die letzte Krönung d. 14. Juli 1792 stattfand und die Münzen unter die sich darum balgende und raufende Menge ausgestreut waren, flog auch zuletzt der Beutel, worin sie enthalten waren, durch die Luft zwischen die Menschenköpfe und einem Bäckergesellen gerade auf die Brust. Mit einem Freudenschrei kreuzte dieser hastig beide Arme über Brust und Beutel und wollte mit seiner Eroberung sich aus dem Staube machen, allein dies ging nicht so leicht, Mehrere hatten den Beutel fliegen sehen und wollten ihn nun seinem Besitzer entreißen. Darüber entspann sich nun ein heftiger Kampf, weil dieser sein Besitzthum männlich vertheidigte. So wälzte sich der um den Beutel kämpfende Haufe über den Römerberg in eine andere Gasse, woselbst ein Bürger Wache stand. Dieser glaubte, der Bäckergeselle habe den Beutel gestohlen und schlug ihn mit seinem Gewehrkolben zu Boden, der Beutel ward ihm entrissen und einer zerrte ihn nun dem andern aus den Händen, bis ihn endlich doch einer davontrug. Allein das Bäckerhandwerk nahm sich des Gesellen an, die richterliche Entscheidung erkannte denselben ihm auch zu und da man wußte, wer ihn hatte, so mußte ihn dieser wieder herausgeben. Als kostbares Besitzthum ward er von da an bis auf den heutigen Tag in der Gesellenlade aufbewahrt und bei Gesellengeboten und wenn ein Geselle zum Meister gemacht ward, legte man den Beutel auf den Deckel der aufgeschlagenen Lade gleich einem Heiligthum, welches an den Ernst und die Feierlichkeit des Augenblicks mahnte. Der Bäckergeselle ward in dem Spitale, wohin er in Folge jenes Schlages besinnungslos gebracht worden war, wieder gesund und hieß fernerhin spottweise das Krönungsköpfchen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 684-685.
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