773. Der Schelm von Bergen.

[689] (S. Enslin a.a.O. S. 19 etc.)


Es giebt ein altes Rittergeschlecht der Schelme von Bergen. Ueber die Entstehung desselben existiren aber verschiedene Sagen.

Nach der ersten Sage hat Friedrich Barbarossa, als er zum deutschen Kaiser gewählt worden war, in seinem Palast zu Frankfurt a.M. ein großes Fest veranstaltet, einen Mummenschanz, zu dem ein Jeder freien Zutritt hatte. Die Kaiserin tanzte natürlich auch mit und tanzte unter andern auch mit einem Vermummten, der sich ihr als ein ausgezeichneter Tänzer erwies, so daß sie gar nicht satt ward mit ihm zu tanzen. Da kam die Stunde der Entlarvung heran, wo Jeder seine Maske ablegen mußte, also auch der Tänzer der Kaiserin. Wie entsetzt war aber Alles, als man sah, wer mit der Majestät getanzt hatte, es war kein Edler, nicht einmal ein Bürger oder Bauer, sondern der Schinder, der nicht einmal in Frankfurt wohnen durfte, sondern in dem ohnweit der Stadt gelegenen Orte Bergen. Da wurde der Kaiser sehr zornig und wollte dem frechen Eindringling den Kopf abschlagen lassen, die Kaiserin aber hatte Mitleid mit ihm und bat für ihn, der Schinder aber sprach: »Gemach, Herr Kaiser, Ihr irrt, nicht die Kaiserin ist durch meine Berührung unehrlich geworden, sondern ich bin dadurch, daß ich mit ihr getanzt habe, zu Ehren gekommen!« Da lachte der Kaiser und sprach: »Du Schelm von Bergen, für einen Schinder hast Du wahrlich Verstand, kniee nieder, ich will Dich zu Ehren bringen!« und damit schlug ihn der Kaiser zum Ritter als Schelm von Bergen, welcher Name auch seinen Nachkommen geblieben ist, bis das Geschlecht im Jahre 1844 ausstarb. Die östliche Spitze des Waldes bei Bergen heißt jetzt noch davon die Schelmen-Ecke.

Die zweite Sage erzählt die Sache anders. Nach ihr hätte der Kaiser Friedrich Barbarossa einmal im Walde bei Dreieichenhain gejagt und sich von seinem Gefolge verirrt, müde und durstig traf er einen auf einer Karre sitzenden Mann und klagte ihm seine Noth. Dieser hieß ihn auf sein Wägelchen steigen, gab ihm zu essen und zu trinken und fuhr ihn auf den rechten Weg wieder zu seinem Gefolge. Als er aber dort ankam, da fuhr Alles erschreckt zurück, denn der Kaiser saß auf dem Wagen des Abdeckers aus dem Orte Bergen jenseits des Mains und man rief: »Das ist ja der Schelm von Bergen.« Der Kaiser aber faßte sich kurz, schlug ihn zum Ritter und adelte ihn und seine Nachkommen unter diesem Namen.[689]

Die dritte Sage erzählt, der Kaiser habe, nachdem er den Bau der Burg von Gelnhausen beendigt, als er sich den ersten Abend in derselben zur Ruhe legen wollte, freudig ausgerufen: »Wer es auch sein mag, der morgen zuerst den Schloßhof meiner Burg betritt, er soll geadelt sein!« Am Morgen aber war der erste, der den Burghof betrat, der Schelm107 von Bergen, der ein gefallenes Pferd abholen wollte. Der gute Kaiser aber hielt sein Wort und schlug ihn zum Ritter und gab ihm als Wappenschild zwei rothe Rippen in silbernem Felde und als Helmzierde einen rothen feuerspeienden Drachen.

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Schelm bedeutete eigentlich zuerst einen Leichnam oder Aas, dann aber einen Menschen, der wie Aas geflohen ward.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 689-690.
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