806. Der Schuster auf Ardeck.

[714] Auf einem Berge des Lahnthals gewahrt man noch heute die Trümmer der alten Burg Ardeck, dort ist es aber nicht geheuer, namentlich in der Adventzeit. Einst kam ein Schuster, auf dem Rücken einen schweren Lederballen, auf der Landstraße spät in der Nacht einhergekeucht. Müde und schläfrig, denn er war unterwegs einige Male eingekehrt, konnte er kaum mehr fort, da hörte er plötzlich einen Wagen dahersausen, er ruft die darin Sitzenden, sie möchten ihn doch aufsteigen lassen und ein Stück weit mitnehmen. Der Wagen hält auch, er schwingt sich auf den Rücksitz und im Galopp brausen die feurigen Rappen dahin. Auf einmal hält der Wagen und er sieht sich in dem Hofe eines alten Schlosses, aus dessen Fenstern heller Lichtschein herabglänzt. Aus dem Wagen steigt eine Herrschaft in alterthümlicher Tracht, die Diener winken ihm, er folgt ihnen ins Haus und bis zu einem prächtigen Saale, Todtenstille herrscht hier, obwohl eine lange Tafel von Rittern und Edelfrauen ringsum festlich besetzt ist. Einer deutet ihm schweigend mit dem Finger an, sich niederzulassen. Ihn ergreift aber unbeschreibliche Angst und er stößt den Namen »Jesus« aus, auf einmal zerrinnt Alles in Nebel und er selbst sinkt wie vom Schlage getroffen zu Boden. Am andern Morgen erwacht er aus tiefem Schlummer, da sieht er sich voll Grausen auf Steingeröll zwischen den Ruinen der Burg Ardeck liegen, er rafft sich auf und eilt angsterfüllt den Berg herab, allein zu Hause angelangt, ergriff ihn schwere Krankheit und noch ehe der Lenz wiederkehrte,[714] grub man ihm ein frühes Grab. Den Wagen hat man nachher noch oft zur Adventszeit dahinjagen gesehen, aber angerufen hat ihn Keiner wieder.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 714-715.
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